Die Reifen haben etwas mit der Umwelt-Lobbykampagne "Breaking the Tire Cycle" in Südkalifornien zu tun, die Studenten der University of San Diego 2008 entwickelten -- und die erfolgreich Gesetzgebung erstritten. Denn Berge von Altreifen werden an der Grenze USA/Mexiko illegal entsorgt, und daraus entstehen diverse Umweltprobleme, von Gewässerverschmutzung bis zur Mückenplage. Die Kampagne ist eine von mehreren interessanten Fallstudien in diesem Buch.
Herausgegeben hat es Pat Libby, Direktorin des Institute for Nonprofit Education and Research an der University of San Diego. Dort werden regelmäßig Nonprofit-Projekte betreut, die Studenten lernen praktisch Organisations-, Kommunikations- und Politikberatung und managen ganze Kampagnen. Rund 600 Projekte für 250 Nonprofit-Organisationen gehören zum Erfahrungsschatz. Ein Teil der gelungenen Beispiele werden bereits in einer Projektbibibliothek ("Best Practices Online Library") dokumentiert.
Daraus speist sich auch The Lobbying Strategy Handbook. Es ist aus der praktischen Uni-Lehre entstanden, stellt studentische Projekte vor und lässt diese -- neben Profis aus NGOs und Politik -- auch selbst als Autoren zu Wort kommen. So bietet es interessante Anregungen für Praktiker, die als Lehrbeauftragte an Hochschulen wirken, und für Professoren in Studiengängen für Nonprofit-Management. Solche sind ja auch in Deutschland vielfach im Angebot.
Es ist aber auch Handbuch und Leitfaden, gedacht für den einfachen, engagierten Bürger mit einem Anliegen. Das Buch pflegt erfrischenden Amateurismus: "Sie müssen nicht alle Details des Gesetzgebungsprozesses verstehen, um ein guter Lobyist zu sein, genauso wenig wie man ein Tierarzt sein muss, um einen Hund zu besitzen", schreibt Libby. Sie will die Scheu vor politischen Prozessen nehmen und Mut machen. Das gelingt ihr und den Koautoren ganz gut, nicht zuletzt aufgrund des Konversationsstils, der auf Fachausdrücke weitgehend verzichtet, soweit sie nicht notwendig sind.
An Systematik und Ernsthaftigkeit mangelt es dem Buch dennoch nicht. Der Fokus liegt klar auf der Landespolitik, konkret Lobbying durch Nonprofits bei den Institutionen der US-Einzelstaaten, vor allem den Landesparlamenten. Der hiesige Leser muss eine gewisse Transferleistung erbringen, will er die Ratschläge nutzen. So ist im Hinterkopf zu behalten, dass auch in den US-Einzelstaaten ein präsidiales und kein parlamentarisches Regierungssystem etabliert ist; und dass deutsche Landesregierungen und Landtage im Vergleich ein recht enges Korsett haben, in dem überhaupt eigene Gesetzgebung möglich ist.
Die ersten beiden Kapitel stecken zunächst den rechtlichen Rahmen ab: Wer darf wie Lobbyarbeit betreiben, welche Regeln gelten für Nonprofits, was sind die Schranken im Wahlrecht? Wie lassen sich Lobbyarbeit und Kampagnen finanzieren, was ist dabei rechtlich zu beachten? Ums Geld dreht sich Kapitel 3, die Politik der öffentlichen Haushalte. Ein "Sumpf", meint Libby. Sie erläutert Haushaltsverfahren und wie man die Budgets anzapfen kann, diskutiert die Einflüsse der steuerkritischen Organisationen (Tea Party) und typische Steuer- und Armutsprobleme. In Kapitel 4 schildert ein Abgeordneter, wie der Gesetzgebungsprozess "wirklich" funktioniert.
Der Mehrwert des Buchs steckt vorrangig in den Kapiteln 5-12, in denen die "10 Schritte" erfolgreicher Kampagnen dargelegt werden. Diese Kampagnen sind nicht allein Lobby-Feldzüge, sondern werden breiter als Advocacy-Kampagnen verstanden -- typisch für Nonprofits sind ja die Einbeziehung der Medien und Öffentlichkeit sowie die Organisation und Mobilisierung von Bürgern als Unterstützer.
Ein Rahmenkonzept für die Strategieentwicklung
Das Rahmenkonzept wird gut erklärt, unter anderem durch Flowcharts (siehe Abbildung rechts). Libby macht deutlich, dass es keine starre Abfolge der Schritte gibt, sondern dass es immer wieder Schritte zurück und Feedback-Schleifen gibt, um z.B. das Kampagnenthema zu präzisieren, neue Recherchen anzustellen und Maßnahmen anzupassen, um Widerstände zu umgehen.
Jedes Kapitel stellt mehrere der Schritte an praktischen Beispielen aus der studentischen Beratungs- und Konzeptarbeit vor. So lässt sich gut nachvollziehen, worauf es im Einzelnen ankommt.
Der Blick in die Kampagnenwerkstatt zeigt zum Beispiel,
- womit die Studenten beim kommunikativen "Branding" einer Tierschutzkampagne rangen,
- wie psychologische Widerstände bei der Rekrutierung von Unterstützern zu umgehen sind und wie man Bündnisse mit anderen Gruppen anbahnt,
- wie man einen juristischen Aufhänger für effektive Maßnahmen gegen Missbrauch Abhängiger in der Pflege findet, oder
- wie man ein Gruppengespräch mit Abgeordneten so vorbereitet, dass nicht alle durcheinander reden und die kostbare Lobby-Zeit verplempern.
Nach dem Lobbyerfolg: Wenn der Gegner das Gesetz untergräbt
Den Abschluss bilden ein Kapitel über "Fighting for Justice in Cyberspace", das sich der Online-Kommunikation widmet, und ein Kapitel "So Now You Have a Law: What Do You Do with It?". Dieses Kapitel 12 ist besonders lesenswert. Hier geht es um das Monitoring nach dem erfolgreichen Kampagnen- und Gesetzgebungsprozess: Auf den eigenen Lorbeeren ausruhen geht nicht, lautet die Kernbotschaft. Denn die Gegner werden versuchen, durch indirekte Maßnahmen die Politik-Umsetzung zu untergraben:
- Die Umsetzung durch die Behörden muss finanziert werden: Personalstellen müssen geschaffen oder zugewidmet werden, Verwaltungsverfahren benötigen Ressourcen, um etwa die Regelungen im Detail zu formulieren und in der Praxis anzuwenden. Wenn das etwa vom Haushaltsausschuss behindert wird, gibt es zwar eine Rechtsgrundlage, aber die steht nur auf Papier.
- Es kommt vor, dass sich Regierungen und Verwaltungen schlicht weigern, bestimmte Rechtsakte auszuführen. Die Substanz der Gesetzgebung muss oftmals durch Verordnungen präzisiert werden. Der Gesetzgeber ermächtigt die Verwaltung dazu. Diese quasi-legislatorische Macht der Ministerien und staatlichen Agenturen kann für Blockaden oder Verzögerungstaktik genutzt werden.
- Wer in der Politik unterliegt, sucht die zweite Chance über die Gerichte: Im prozessfreudigen Amerika können Interessengruppen mit einer gezielten Litigationsstrategie die Rechtssetzung im Nachhinein verändern. "Richteraktivismus" (judicial activism) ist ein politisches Risiko für den Gesetzgeber, denn so mancher Rechtsakt wird einfach für nichtig erklärt. Die oft langjährigen Prozess schaffen Rechtsunsicherheit und legen vieles auf Vorbehalt, das bremst auch die Verwaltung bei der Umsetzung. Nonprofits haben selten den langen Atem und das Geld, um solche Prozesse zu begleiten. Wer aber nichts tut, hat schon verloren.
Diese Warnungen gelten nicht nur fürs US-System, sie sind für Deutschland und Europa genauso relevant und stellen eine politische Wirklichkeit dar, in der das Spiel nicht mit dem Inkrafttreten eines Gesetzes endet. Die Spezifika erfordern bei der Lektüre erneut eine Transferleistung. Dennoch ist das Buch durchaus ein Gewinn für die strategische Auseinandersetzung mit den Grundfragen politischer Arbeit von Nonprofits.
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