Freitag, 12. August 2011

Rating-Agenturen in den USA: Nicht nur Marktbeobachter, sondern Lobby in eigener Sache

Die Börsenwoche war haarig. Mitverantwortung tragen Rating-Agenturen. Standard & Poor's stufte -- trotz Widerworten der Konkurrenten Fitch and Moody's -- die USA von der Bestnote AAA auf AA+ ab, Begründung: der Finanzkompromiss in Washington reiche nicht aus, und die Berechenbarkeit des amerikanischen Politikprozesses sei zu unsicher. S&P spricht von "political brinkmanship", einer Politik des äußersten Risikos.

Standard & Poor’s Corp. ist allerdings kein ferner Beobachter des Politikprozesses, sondern steht mittendrin.
In der Washington Post ist nachzulesen, wie sich die Rating-Agentur auch auf traditionelle Weise Einfluss verschafft. Das Unternehmen gibt reichlich Geld aus, um die eigene Macht über die Finanzmärkte zu erhalten, staatliche Aufsicht und Regulierungsbestrebungen zu begrenzen.

S&P gehört interessanterweise einem Medienkonzern, McGraw-Hill. Die Muttergesellschaft hat laut der Post in den vergangenen 15 Jahren mehr als elf Millionen Dollar für Lobbyaktivitäten ausgegeben, davon mindestens eine Million für Lobbyprojekte zu Rechtsakten, die die hauseigene Rating-Agentur betrafen. So analysierten es Rechercheure der Sunlight Foundation. Manager und Mitarbeiter der Firma waren auch bei Parteispenden nicht geizig: Rund eine halbe Million Dollar spendeten sie seit 1989 an Kandidaten auf Bundesebene (den Großteil an die Demokraten). Zusammengerechnet haben die drei Unternehmen mehr als 16 Mio. Dollar für das Lobbying der Finanzgesetzgebung im vergangenen Jahrzehnt ausgegeben. Moody's allein ist dabei für 13 Mio. Dollar verantwortlich.
"Die Zahlen unterstreichen die ungewöhnliche politische Position, die S&P und die anderen zwei prominenten Rating-Firmen, Moody’s Investors Service und Fitch Ratings, besetzen", schreibt die Post. "Jedes dieser Unternehmen gibt Beurteilungen über die Kreditwürdigkeit der Regierung heraus, mit denen die Märkte bewegt werden, während sie die Regierung lobbyieren, um eine für ihr Kerngeschäft günstige Politik zu erreichen."
S&P erfülle eine quasi-staatliche Funktion, weil die Firma große Bereiche der Wirtschaftspolitik präge, zitiert das Blatt Craig Holman, Vertreter der Interessengruppe Public Citizen.
S&P schwingt einen großen Knüppel über den Kongress und den Präsidenten, weil das Unternehmen einfach Politik diktieren kann, die gigantische Auswirkungen für das Land und die Regierung haben kann", so  Holman. “Der Einfluss auf den staatlichen Haushalt kann leicht als mächtiges Werkzeug benutzt werden, um die Bundesregierung zu Konzessionen zu bringen, die eher im Interesse von S&P als im öffentlichen Interesse sind.”
Die Rating-Agenturen betonen allerdings, dass ihre Finanzanalysten mit den Lobbyisten und anderen Kollegen des Hauses nichts zu tun haben. Von diesen seien sie abgeschirmt. Das soll faire und interessenfreie Ratings absichern. Laut McGraw-Hill-Sprecherin Patricia Rockenwagner beurteilten die Analysten die Kreditwürdigkeit des Staates allein nach harten fachlichen Kriterien. Ihre Lobbyisten artikulierten Sichtweisen zur Politik. Es gebe eine strikte "Firewall", die beide trenne. "Das war immer so und wird immer so sein.”

Das sagt genauso Moody’s Kommunikationschef Michael Adler. Auch seine Firma habe eine "strikte Trennung zwischen den geschäftlichen und analytischen Aspekten des Betriebs, und Lobbying oder andere kommerzielle Aktivitäten spielen im Rating-Prozess keine Rolle.” Ebenso will es Fitch verstanden wissen. Sprecher Daniel Noonan sagt, die Lobbyarbeit “hat null Einfluss auf unsere Analystengruppen, die die Ratings anlegen.”

Die Herabstufung der USA dürfte die politischen Beziehungen erschüttern. Finanzminister Timothy Geithner kritisierte S&P scharf für das "fürchterliche Urteil". Die Firma habe billionenschwere Fehler in ihrer Rechnung gemacht (was die Agentur auch einräumte). Geithner und andere erinnerten zudem an die Fehlurteile der Rating-Agenturen im Vorlauf der Finanzkrise 2008, die die Krise verschräft hätten.

Seit der Krise versuchen die Rating-Agenturen in Washington, jeden Gesetzentwurf zu verwässern oder zu verhindern, der die staatliche Aufsicht über ihre Geschäftstätigkeit verschärfen könnte, fasst die Post zusammen. Dazu gehören z.B. juristische Optionen, die Agenturen mit Klagen wegen Vernachlässigung ihrer Sorgfaltspflichten zu überziehen. Zudem zirkulieren bei den Behörden Pläne, den Einfluss der Agenturen auf die Märkte zurückzudrängen.

Ironischerweise war es Washington, die den Rating-Agenturen einst ihre Macht gab. Denn vor Jahrzehnten wurden die Banken verpflichtet, die Bonitätsurteile der Agenturen bei der Ausgabe von Krediten zu beachten.

Mehr zum Thema:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen