Mittwoch, 3. August 2011

Gegen unkonventionelles Erdgas: Röttgen an der Spitze der Protestbewegung?

Mit der "Energiewende", die genauso gut Energiekrise genannt werden kann, setzt in Deutschland die hektische Suche nach alternativen Energieressourcen ein. Zwar liegen erneuerbare Energien im Fokus, doch die Branche schaut ebenso auf fossile Energieträger. Attraktiv für Explorationen ist "unkonventionelles" Erdgas, auch Schiefergas (Shale Gas) genannt -- und das bringt nicht nur Teams von Ingenieuren und Geologen in Stellung, sondern auch Politik und Lobby.

Der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) in Hannover bewirbt seit Längerem die "Versorgungssicherheit", die das unkonventionelle Erdgas als "ideale Brücken- und Zukunftsenergie für Deutschland" verspreche (hier z.B. Online-FAQ, ein Überblicksartikel, eine Broschüre, ein Expertengespräch im WEG-Newsletter). Unternehmen wie ExxonMobil informieren über ihre Bohrungen u.a. auf erdgassuche-in-deutschland.de.


Auf der BDEW-EnergieDebatte-Plattform im Internet wird auch diskutiert; da meldet sich etwa der frühere CDU-Politiker Friedbert Pflüger, jetzt Professor in London, zu Wort, wie schon in einem Gastbeitrag bei Spiegel online. Die grüne NRW-Landtagsabgeordnete Wibke Brems bloggt inzwischen recht ausführlich über das Thema, interessant sind dort u.a. ihre Beiträge über eine Erkundungstour in die USA.

Das Bundesumweltministerium informiert seit einiger Zeit über die Risiken, das Umweltbundesamt warnt. Wasserunternehmen wie Gelsenwasser sind nicht nur besorgt, sondern schlagen Alarm. Zudem formiert sich an der Bürgerbasis eine Protestbewegung gegen die Exploration, vor allem gegen die umstrittene "Fracking"-Methode (Hydraulic Fracturing), die als umweltschädlich gilt. Denn das Gas wird mit Horizontalbohrung erreicht, dann mit viel Chemie aus Gesteinsschichten gelöst und herausgepresst. Unter anderem zeigen sich Risiken fürs Trinkwasser und für den Boden. Die Protestinitiativen stehen z.B. hinter der Website gegen-gasbohren.de, das sich auch auf Facebook präsentiert. Umweltgruppen wie BUND, Greenpeace, GreenAction, die EnergyWatchGroup positionieren sich. Das Blog unkonventionelle-gasfoerderung.de widmet sich dem "FrackWatch". Auf YouTube gibt es bereits einen "StoppFracking"-Kanal. In NRW wurde auf OpenPetition eine Unterschriftensammlung initiiert, die Petition beim Landtag eingereicht.

Der internationale Kontext
Wichtig für den Protest-Kontext sind die internationalen Ereignisse:
In Deutschland begann die Exploration zunächst unauffällig. Das hat sich sehr stark geändert. Die deutschen Bürgerinitiativen, empört über die fehlende Information über die Bohrungen und die Risiken, tauschen sich mit den internationalen Protestorganisationen und wissenschaftlichen Kritikern aus. Die negativen Reaktionen anderer Länder, wie etwa Frankreich, haben die Initiativen enorm bestärkt. Derzeit scheint vieles darauf zuzulaufen, dass sich die deutsche Politik recht geschlossen gegen die Erdgas-Bohrungen stellt.

Das war vor kurzem noch anders. Bundeswirtschaftsministerium und Bundesumweltministerium äußertem sich jüngst in einem Bericht gegenüber dem Umweltausschuss im Bundestag noch recht positiv. In Niedersachsen, einem traditionellen Öl- und Gasförderland, ließ die Regierung Wulff zunächst dem Konzern ExxonMobil freie Hand bei der Suche. In NRW durften ExxonMobil, BNK Petroleum, 3legs Resources und RealmEnergy ebenfalls Probebohrungen vornehmen. 2010 begannen diverse Medien (Panorama, Monitor, Spiegel, Zeit, taz, FAZ, in NRW diverse Zeitungen und Sender wie der WDR) mit einer zunehmend kritischen Berichterstattung über die Explorationen, wobei die US-Erfahrungen (und der genannte Film "Gasland") eine wichtige Rolle spielten.

Von NRW nach Berlin

Kernland der politischen Konflikte ist bislang vor allem NRW. Weil der CDU-Landeschef Norbert Röttgen heißt, erreicht die Kontroverse nun stärker die Bundespolitik. Der Bundesumweltminister wird bei seiner Positionierung (und Profilierung) ja immer mutiger und stellt sich offenbar gern an die Spitze der Bewegung.

Zwar hatten in Berlin schon im Frühjahr die Bundestagsfraktionen der Grünen und der Linken Anträge eingebrachten, die Plenar-Lesung am 30. Juni 2011 fand aber wenig Widerhall. Kein Wunder: Der Plenartag war voll mit Atom- und Energiedebatten, und die Erdgas-Anträge waren TOP 26; es war schon spät, die Reden wurden nur noch zu Protokoll genommen. Im Herbst dürfte sich der Bundestag erneut damit befassen.

Röttgen fährt durch sein jüngstes Interview jedenfalls den Aufmerksamkeitspegel hoch:
In den Westfälischen Nachrichten ließ Röttgen wissen, „ich werde kein Risiko eingehen.“ Er werde eine „umfangreiche“ Studie über die Umwelteinwirkungen der umstrittenen Fördermethode in Auftrag geben. „Bis wir gesicherte Erkenntnisse gewonnen haben, wird es einige Zeit dauern. Und vorher kann Fracking nicht stattfinden.“  Auf Basis der Erkenntnisse werde es klare Anforderungen für die Gewinnung des gebundenen Erdgases geben. „Wenn die nicht erfüllt sind, kann dieses Verfahren nicht eingesetzt werden.“
Möglicherweise wird das Bergrecht novelliert. Röttgen sieht Argumente für eine zwingende Umweltverträglichkeitsprüfung. Den Bürgern im Münsterland versichert er, „dass diese Methode nur dann in Frage kommt, wenn Risiken definitiv ausgeschlossen werden können“. Röttgen hat außerdem Zweifel an der Notwendigkeit der Exploration -- die konventionellen Gasvorräte reichten für Jahrhunderte, Biogas und neue Verfahren seien ebenfalls Optionen. „Wir haben ganz viele Alternativen, die eine solche Methode sehr in Frage stellen, auch energiepolitisch.“
Röttgen unterstützt damit die CDU-Landespolitiker, die der Linie von Rot-Grün in NRW folgen; die NRW-Parteien nähern sich einer Einigung gegen "Fracking". Bei mehreren Landtagsdebatten in Düsseldorf, etwa im März 2011, ging es teilweise hoch her -- die Opposition wirft der rot-grünen Landesregierung Versagen in der Informations- und (wasserrechtlichen) Genehmigungspolitik vor. Zudem wird nach früheren Probebohrungen mit "Fracking" in den 1990ern gefragt, die bisher unbekannt waren.

Wie sich die Debatte ändert

Im Juni schrieb Kristina Graf im Blog Fette-Henne noch:
In Europa, aber auch in Deutschland, ist das Thema Schiefergas noch nicht angekommen. Eine politische oder öffentliche Diskussion noch nicht vorhanden. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich die Diskussion zu gegebenem Zeitpunkt entwickelt.
Das scheint sich schnell zu ändern. Zur Richtung der Debatte ist Grafs Kommentar recht hilfreich, denn auch wenn die Proteste scheinbar einen Anti-Konsens in der Politik fördern, so dürfte sich doch die Paralleldiskussion um die kritischen Importe aus Russland fortsetzen. Und wenn Schiefergas direkt in Europa und in Deutschland gefördert werden kann, wird ganz sicher irgendwann die Frage in den Mittelpunkt rücken, warum man sich von Energierohstoff-Importen so abhängig macht, wenn man doch selbst auf den Ressourcen sitzt. Umwelt-Risiken hin oder her, strategische Energiesicherheit ist eben eine Standort- und eine Finanzfrage. Da werden sich die Experten noch viel streiten und die Politiker regelmäßig verunsichern. Graf schreibt:
Gas ist die umweltfreundlichere Variante zu Kohle und Öl – soweit so gut. Als Brückentechnologie ist Erdgas nahezu perfekt, es ist a) sicher, b) bezahlbar und c) umweltfreundlich. [...] [W]as die Förderung vom sogenannten Shale Gas, zu Deutsch Schiefergas, betrifft, so lassen sich die Punkte a) und c) ausschließen. Die Förderung des Schiefergases ist nicht unumstritten, denn sie sei, so führende internationale Experten wie Michael T. Klare, umweltschädigend und benötige sehr gute, fortschrittliche Technologien, in die keiner investieren will. Befürworter von Shale Gas wie Frank Umbach sehen jedoch sehr viel Potenzial in der Förderung von unkonventionellem Erdgas. Denn nur so könnte die EU ihre Dependenz von Erdgasimporten reduzieren und eine günstige und umweltfreundliche Energiequelle zur Nutzung bereit stellen.  Jean-François Cirelli, Präsident von Eurogas und Präsident des französischen Unternehmens GDF-Suez ist davon überzeugt, dass die Förderung des unkonventionellen Gases für Europa nicht so wichtig sein werde wie für Länder wie die USA. (...)
Es gibt offenbar nicht nur Zweifler in der Politik, sondern auch bei den Unternehmen. Die am Pipeline-Gashandel mit und der Förderung in Russland beteiligten Unternehmen mögen gar kein so großes Interesse an der neuen Förderung in Europa haben. Derzeit sieht sich Europa eher einem Gas-Überangebot und fallenden Preisen gegenüber, seit die USA ihre Importabhängigkeit weitgehend durch die unkonventionelle Gasförderung beendet haben und viele Exportländer günstig verflüssigte Gas (LNG), das per Tanker zu uns kommt, anbieten. Das macht Investitionen und Technologieforschung sowie politisches Gezerre um Regulierungen wenig attraktiv; die deutschen Energiekonzerne jedenfalls haben im Moment andere Probleme.

E.ON skeptisch: Lohnt sich das? Im Prinzip ja, aber...
Der Konzern E.ON hat in einer interessanten Investoren-Präsentation (Andreas Korn, 2010) die Aussichten für unkonventionelles Gas in Europa dargelegt, dass das geologische Erdgasvorkommen in Europa grundsätzlich so groß ist wie in Nordamerika.
  • Die drei größten Vorkommen liegen in Polen und Ostseeraum, Norddeutschland und in der südlichen Nordsee, daneben noch in England, nördlich der Alpen (Frankreich-Süddeutschland-Österreich-Tschechien-Ungarn) und einige kleinere Felder, z.B. in Spanien. 
  • Das geologische Potenzial in eine "profit opportunity" zu verwandeln, sei die zentrale Herausforderung. 
  • Insgesamt seien die Rahmenbedingungen für unkonventionelles Gas weniger attraktiv als in Nordamerika - geologische Fragen seien offen, viel müsse noch erforscht werden, der Zugang sei auch rechtlich schwieriger, die Industrie schlecht vorbereitet, Umwelt- und Wasserfragen problematisch, die Kosten für Bohrungen in Europa viermal so hoch wie in Nordamerika. 
  • Alle diese Unsicherheiten verdichten sich zur Skepsis, ob die ökonomische Seite den Hoffnungen entsprechen kann. 
  • Die Anteile am und Relevanz für den europäischen Gasmarkt dürften deutlich kleiner sein als in Nordamerika. Die Ressourcenausbeutung bleibe kleiner, die Produktion komme später, langsamer und zu einem höheren Preis als in Nordamerika. 
  • Immerhin: Bis 2020 könne eine begrenzte unkonventionelle Erdgasproduktion wettbewerbsfähig sein. Mittel- bis langfristig könnte unkonventionelles Gas den Importbedarf von Erdgas und zurückgehende Produktionsmengen in der Nordsee reduzieren. 
  • Zu einer "Revolution" komme es in Europa wohl nicht.

Doch die Protestorganisatoren haben noch lange nicht gewonnen. Mittel- und langfristig mag sich das Debattenumfeld verändern.Zudem ist für die Umweltverbände nicht ganz einfach zu kommunizieren, dass sie nicht per se gegen Erdgas sind, sondern nur gegen eine -- in der Öffentlichkeit gemeinhin nicht verstandene -- bestimmte Fördertechnik und die dabei verwendeten Chemikalien. Außer im regionalen Politikbereich, wo der Druck steigt, scheinen die Umweltverbände derzeit das Thema eher nicht als erste Priorität zu sehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen