Montag, 5. September 2011

9 Lobby-Tipps von der Grünen-Spitze: Undine Kurths Merkzettel für deutsche Bibliotheken

Sage keiner, die Grünen hätten kein Herz für Lobbyisten. Undine Kurth, Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, hat sogar einen Merkzettel für gutes Lobbying parat.

Kurth präsentierte diese neun Punkte in einem Vortrag vor der Mitgliederversammlung des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv) im März 2010 in Leipzig („Lobbyarbeit für Bibliotheken – Wer erwartet Was von Wem?“).
  1. Gehe nie davon aus, dass alle dein Problem kennen. Nur weil man sich selber ständig mit einem Problem herumschlagen muss, müssen dieses Problem durchaus nicht alle kennen.
  2. Es gibt mehr als das eine, dich betreffende Problem. Unsere Gegenwart leidet keinen Mangel an wichtigen, dringend zu lösenden Problemen. Es gibt also eine verständliche Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Förderer und Entscheider.
  3. Klage allein reicht nicht – Lösungswege müssen gezeigt werden. Selbst der Gutwilligste ist überfordert, wenn man ein Problem nur in all seiner Schrecklichkeit beschreibt - ohne (als Kenner der Situation) anzubieten, wie man denn aus der schwierigen Lage herauskommen könnte.
  4. Gehe nie davon aus, dass alle das Gleiche wollen. … denn die Erfahrung lehrt, dass es immer auch unterschiedliche Interessen gibt.
  5. Finde heraus, wo Verbündete sitzen und wie man sie gewinnen kann. Dazu gehört auch, den Unterstützern Unterstützung zukommen zu lassen. Auch in der Politik gibt es Konkurrenzen – und da ist es hilfreich für jeden und jede, wenn sie auf Anerkennung verweisen können.
  6. Sieh immer genau hin, wer wie handeln kann. Da es nun einmal Abhängigkeiten, Dienstverhältnisse und Zuständigkeiten im Verwaltungshandeln gibt, ist es für den Erfolg aller Bemühungen nicht nur sinnvoll, sondern unabdingbar notwendig, darauf auch Rücksicht zu nehmen. Verteilte Rollen und das Spiel über Bande sind nicht ehrenrührig.
  7. Von anderen lernen, heißt siegen lernen. Man kann – anders als in der Schule – schon gern mal abgucken. Was machen andere? Wie machen es andere? Vom parlamentarischen Abend bis zum Pressefrühstück, von der Art der Internetpräsentation bis hin zur Zusammenarbeit mit Freundeskreisen – man muss nicht alles neu erfinden. Dazu muss man allerdings die Augen offen halten und auch mal zu Veranstaltungen gehen, die einen vermeintlich nicht unmittelbar betreffen.
  8. Vor dem Schaden klug sein! Reagiere rechtzeitig!! Viele Entscheidungen, gerade in der Kommunalpolitik, haben einen langen Vorlauf und bahnen sich an. Es gilt also ganz zu Anfang Einfluss zu nehmen, denn wenn eine Entscheidung erst einmal gefallen ist, ist es doppelt schwer, sie zu korrigieren. So ist es z.B. nicht sonderlich erotisch, die Tagesordnungen von Stadtrat und Kreistag zu verfolgen, aber es lohnt sich.
  9. Lobbyarbeit heißt nicht betteln und ist nicht ehrenrührig! 
Kurth, Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien und Mitglied der früheren Kultur-Enquete, ist Vorsitzende des Beirats beim Vorstand des Bibliothekenverbands Sachsen-Anhalt.

Internationale Vorbilder für die Bibliotheken
Hintergrund des Kurth-Vortrags ist das wachsende Interesse der deutschen Bibliotheken an einer Professionalisierung der Lobbyarbeit. Bibliotheken sind selbst in der Bildungspolitik oft nur Gäste am Rande, die PR-Arbeit ist ausbaufähig, das zentrale Thema aber ist der massive finanzielle Druck, dem die Bibliotheken oft ohnmächtig gegenüberstehen.

Neben den Hochschul- und Staatsbibliotheken in Länderhand haben vor allem die vielen kommunalen Büchereien erkannt, dass sie ihre Interessen gegenüber der Politik besser vertreten müssen.

Als freiwillige Aufgabe der Kommunen steht das Bibliothekswesen unter dem Diktat der Haushaltskonsolidierung: Stellen werden abgebaut, die Etats für neue Medien zusammengestrichen, Technik- und Bauinvestitionen blockiert, manche Büchereien gar ganz geschlossen. Zudem gehören die zuständigen Kulturpolitiker nicht gerade zu den besonders Einflussreichen in der politischen Hackordnung.

Man will es also besser machen und sucht nach guter Praxis. Vorbild in Europa ist u.a. die Bibliotheksszene in der Schweiz, die sich bereits vor einem Jahrzehnt der Frage systematisch gestellt hat. International ist das - weitgehend unerrreichte - Vorbild aber die American Library Association (ALA). Die ALA setzt seit langem auf eine umfassende Schulung ihrer Mitglieder für die Lobbyarbeit auch lokal und regional sowie unter Nutzung von Grassroots Lobbying. Allein die Informationen und Kursmateralien auf der Internetseite "Advocacy University" sind beeindruckend. ALA hat hier z.B. ein umfassendes Argumentationspaket geschnürt, wie man auch in Zeiten eine Wirtschaftskrise Wert und Rendite von Bibliotheksinvestitionen gegenüber Politik und Medien vermittelt: Das „Advocating in a Tough Economy Toolkit“ ist ein Werkzeugkasten mit Sprechzetteln, Fallbeispielen, Checklisten und Hinweisen für den Dialog mit Politikern, Behördenchefs und Journalisten. Auch wie man Bürger mobilisiert und mit anderen Organisationen Bündnisse aufbauen kann, wird erläutert

Lobby-Schulungsmaterialien der American Library Association
So investieren in die Stärkung der politischen Kommunikation und Interessenvertretung auch die maßgeblichen Verbände in Deutschland -- Bibliothek & Information Deutschland - Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheks- und Informationsverbände (BID) als Dachverband der Institutionen- und Personalverbände des Bibliotheks- und Informationswesens, der Deutsche Bibliotheksverband (dbv), der Berufsverband Information Bibliothek (BIB) und der Verein Deutscher Bibliothekare (VdB). Involviert sind auch die Fachkonferenz der Bibliotheks-Fachstellen in Deutschland und die Spezialfirma ekz Bibliotheksservice.

Bibliothekare lernen sogar von Pharma- und Apotheker-Lobby
In den Fachzeitschriften des Sektors tauchen zahlreiche Artikel auf, und die Liste der Handbücher und Handreichugen wird immer länger. Zuletzt hat der Dachverband BID ein Handbuch "Lobbyarbeit für Information Professionals" (2010) vorgelegt.

Auch eine Vielzahl von Konferenzen und Seminaren dreht sich um die Thematik. Dabei lassen sich die Bibliothekare auch von kommerziellen Public-Affairs-Agenturen erklären, wie es geht. So referierte bei einer Tagung der ekz und Fachstellen im Februar "Impulse 2011: Streitbar, sichtbar, machbar - Lobbyarbeit für Bibliotheken" in Reutlingen die frühere Pharma-Lobbyistin Katrin Schlegelberger, Seniorberaterin bei PRGS (jetzt: Advice Partners) Berlin, die Dos und Don'ts für Bibliotheken am Beispiel Gesundheitswirtschaft, Pharma und Apotheken.
In ihrem Referat "Erfolgsfaktoren für die Lobbyarbeit von Bibliotheken" konstatiert Schlegelberger "mangelnde Awareness" für die Finanznot der Einrichtungen, eine "fragmentierte Verbändelandschaft" mit "zu wenig Durchsetzungskraft".
Interessanterweise empfiehlt sie den Bibliotheken dringend, das (auch von der Kultur-Enquete des Bundestags formulierte) politische Oberziel, das Bibliothekswesen als kommunale Pflichtaufgabe zu verankern, nicht als Lobbyingziel zu setzen. Sie hält dieses nicht für realistisch, denn die Haushaltslage der Länder/Kommunen verhindere die nötige Finanzierung."Zuverlässige Mittelausstattung" sei das bessere Lobbyziel, schreibt sie den Bibliotheken ins Stammbuch. Die gegenwärtige Zuständigkeitsverteilung (Länderebene) sollten die Bibliotheken dabei durchaus in Frage stellen ("in der Politik gibt es nichts Endgültiges!"). Wege dahin könnten sein: a) Rückverlagerung der Zuständigkeit auf den Bund und Verpflichtung des Bundes zur zweckgebundenen Mittelausstattung für die Länder oder b) eine über den Bund durchgesetzte kommunale „Bildungssteuer“ mit festem Anteil für Bibliotheken.
Auch organisatorisch hat Schlegelberger Empfehlungen. So sollten die Verbände zu einer klaren Aufgabenverteilung kommen, um ihre Handlungsfähigkeit zu erweitern -- sie schlägt vor, die Zuständigkeit für das Oberziel bei einem Verband zu bündeln, Länderkoordinatoren einzusetzen und eine Task Force zur zeitnahen Abstimmung über strategische Grundfragen, die alle betreffen, zu bilden.

Literaturhinweise

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