Dienstag, 13. September 2011

Altrocker-Lobby: Copyright-Sieg der Musikindustrie in Brüssel

"Wind of Change", sangen einst die Altrocker der Scorpions. So ein Wind blies nach drei Jahren Flaute diesen Sommer voll in die Segel der Musikindustrie. Sie brachte diese Woche die Verlängerung des Copyrights von 50 auf 70 Jahre in den sicheren Hafen, und zwar ziemlich geräuschlos, wie das BrusselsBlog der FT und EurActiv berichten.

Manchmal, nur manchmal, geht es auch bei der EU ganz schnell.

Sogar Cliff Richard, Paul McCartney und "The Who" trugen als Sachverständige und Stakeholder ihren Teil bei: Um eine Verlängerung des Copyrights zu erreichen, hat die Musikbranche -- darunter Universal, Sony Music Entertainment, Warner Music Group und EMI -- in den letzten Jahren intensiv in Brüssel lobbyiert. Das zeitweise heftig debattierte Thema wurde bei der EU diese Woche ohne Getöse in eine neue Richtlinie überführt.

Das ist erstaunlich, denn drei Jahre lang bewegte sich hier gar nichts.

 Die bisherige Copyright-Regelung (50 Jahre, bis ungestraft kopiert werden darf) schien mangels Konsens einfach auszulaufen -- ein Horror für die Musikbranche, die unter sinkenden Verkaufszahlen und steigender Download-Piraterie leidet.

Brüssel hatte vor drei Jahren die Klagetöne der Musikbranche erhört und wollte das Copyright deutlich verlängern. Ursprünglich schlug die EU-Kommission gar ein 95 Jahre währendes Copyright vor. Das Parlament unterstützte eine Verlängerung grundsätzlich, aber eine Handvoll Mitgliedstaaten, angeführt von Schweden, traten auf die Bremse und blockierten die Gesetzgebung. Die notwendigen Super-Mehrheiten schienen in weiter Ferne, der Rechtsakt so gut wie tot.

Dann muss sich aber jemand des ersten Cliff-Richard-Hits von 1958 erinnert haben: "Move It". 

Anfang Juli signalisierte die neue Regierung in Portugal aber einen Richtungswechsel, und auch Dänemark besann sich. Auf einmal fehlten der Opposition die Stimmen, und die Befürworter nutzten die Chance sehr schnell. Am 12. September ging die Sache durch den Ministerrat, und fertig war die Novelle der alten Copyright-Richtlinie 2006/116/EG.

Der gute alte Cliff darf damit für "Move It" noch bis 2028 Tantiemen einsammeln.


Damit nähert sich Europa dem US-Recht an, nach dem Musikern und Plattenverlagen 95 Jahre nach der ersten Aufnahme Exklusivrechte garantiert sind (bei Texten sind es nur 70 Jahre).

Zeiten des Übergangs
Ob das ausreicht, um der illegalen Verbreitung im digitalen Zeitalter Grenzen zu setzen, ist allerdings fraglich. Kritiker meinen, die Musikbranche gehe ein erhebliches Risiko ein, wenn sie sich mit ihrer Lobbyarbeit so stark auf das Bewahren althergebrachter Schutzrechte fokussiere.

Die EU will die Copyright-Verlängerung verstanden wissen als Hilfe, um in einer Übergangszeit Einkommen und Geschäftsmodelle zu schützen, bis sich die Musikbranche an die digitalen Zeiten angepasst hat. Im Rechtsakt sind einige Passagen recht interessant.
  • So gibt es eine "Use it or lose it"-Klausel: Wenn die Musikverlage alte Aufnahmen nicht aktiv vermarkten, gehen die Rechte automatisch an die Künstler zurück. Er kann sich dann entweder für einen neuen Vermarkter entscheiden oder selbst vermarkten -- möglicherweise über das Internet. 
  • Wenn weder Label noch Künstler aktiv werden, erlischt das Schutzrecht. Auf diese Weise will die EU verhindern, dass die Verbreitung kommerziell nicht mehr interessanter Musikstücke blockiert wird. 
  • Außerdem müssen die Musikverlage 20 Prozent ihrer im Verlängerungszeitraum erreichten Umsätze in einen Fonds einzahlen, mit dem Musiker gefördert werden sollen.

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