Mittwoch, 14. September 2011

"Kollateralschaden": Nonprofits halten Obamas Lobby-Regeln für zu strikt

Allmählich werden selbst Obamas loyalste Unterstützer sauer auf den Mann im Weißen Haus.

Der US-Präsident hat seinerzeit im Wahlkampf eine strikte Transparenzpolitik im Umgang mit Interessenvertretern im Weißen Haus versprochen und durch entsprechende Richtlinien umgesetzt. Typisch Obama war dabei viel Symbolik und Rhetorik im Spiel (siehe Blogbeitrag vom 26.01.11, Obama kritisiert "Lobbyistenparade", fordert Offenlegung der Kontakte)

Allerdings haben einige der Transparenz- und Ethik-Vorschriften reale Konsequenzen -- und es trifft ausgerechnet linksliberale NGOs, die fest im Obama-Lager stehen.

Sie sprechenvon einem „Kollateralschaden“ durch Obamas Anti-Lobby-Politik.  Der Informationsfluss zwischen NGOs und Regierung sei gestört, die Stimme der NGOs drohe zu verstummen. Fachlich herausragende NGO-Vertreter würden vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen.
  • Ihre besten Leute dürfen nicht in Regierungsjobs wechseln -- das betrifft sogar Praktikanten, 
  • die NGOs dürfen Regierungsbeamte auch nicht einstellen, und
  • die Transparenz werde kleiner, weil Lobbyisten die Meldepflichten zu umgehen suchten.
 Zu Obamas Regeln gehört eine harte Linie an der "Drehtür" (revolving door) -- dem Personalaustausch zwischen Regierung und Interessengruppen.
  • Die Vorschriften besagen, dass Neueinstellungen der Exekutive nur dann möglich sind, wenn der Bewerber in den zwei Jahren vor seiner Anstellung nicht mehr als einmal eine Regierungsbehörde kontaktiert hat. Ansonsten muss er eine Ausnahmegenehmigung beantragen.
  • Wenn Regierungsbeamte ausscheiden, dürfen sie für zwei Jahre keine Behörde des Bundes als Lobbyist ansprechen (cooling-off period). 
  • Außerdem hat Obama verfügt, dass beim Bund registrierte Lobbyisten nicht mehr als Mitglieder von Regierungsbeiräten berufen werden dürfen.
Jüngst berichtet Politico, dass sich zahlreiche NGOs über die Regeln beschweren. Das Center for Lobbying in the Public Interest (CLPI) veröffentlichte einen Bericht ("Collateral Damage
How the Obama Administration‘s Ethics Restrictions on Public Service Have Harmed Nonprofit Advocacy and the Public Interest"
), nach dem ausgerechnet die Verbraucherschützer, Umweltschützer, Bürgerrechtler, Demokratiereformer und Vertreter von Kinder-, Familien-, Menschenrechtsrschutzgruppen durch die Regeln Nachteile erführen. Von „Common Cause“ über die „American Civil Liberties Union“ bis „Human Rights Watch“, von Good-Government-Gruppen bis zu den Transparenz-Advokaten reicht die Liste der protestierenden Lobbies.

Tenor: Das neue Regelwerk funktioniert nicht, es schlägt ins Gegenteil um, und es schadet mehr als es nützt. So lautet das Fazit einer CLPI-Umfrage unter (überwiegend links orientierten) NGOs. 80 Prozent von ihnen halten Obamas Lobbyregeln für „schädlich für das öffentliche Interesse“.
  • Im CLPI-Bericht werden mehrere Fälle dargestellt, bei denen offenbar hochqualifizierte Mitarbeiter von NGOs aufgrund ihres Status als registrierte Lobbyisten bei Berufungen in Regierungspositionen ausgeschlossen wurden. 
  • Das betrifft sowohl NGOs direkt als auch Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien, die für sie gearbeitet haben. 
  • Verbraucherschützer dürfen also z.B. nicht für die Verbraucherschutzbehörden der Regierung tätig werden, weil sie vorher Lobbyarbeit für Verbraucherschutz betrieben haben. Dieses Phänomen zieht sich durch mehrere Sektoren.

Es sei zu einem „perversen Effekt“ gekommen, dass politisches Personal lieber nicht bei den NGOs tätig werden wolle: Selbst sehr gute Leute fürchteten, dass das Auftreten als Interessenvertreter für die NGOs ihre Karriereaussichten beeinträchtigen könne. Denn für zwei Jahre dürften sie nicht im öffentlichen Dienst arbeiten.

Die NGOs hätten Schwierigkeiten, selbst Praktikanten und jüngere Mitarbeiter zu finden – denn auch diese müssen damit rechnen, künftig für zwei Jahre von Regierungsjobs ausgeschlossen zu werden.

Nonprofit-Lobbyisten zahlen nun also den Preis für die Ethik- und Transparenzregeln, die Obama wegen des von Nonprofit-Vertretern kritisierten Missbrauchs geschaffen hat.  Die Restriktionen für Lobbyisten, die sie einst forderten, treffen sie nun selbst.


Die Vorschriften hätten die Einstellung zum Lobbyregistergesetz (Lobbying Disclosure Act, LDA) geändert. Früher hätten Interessenvertreter im Zweifelsfall alle Aktivitäten gemeldet. Heute hingegen vermieden sie die Meldung, wenn es nicht unbedingt nötig sei – um weitergehende Einschränkungen zu vermeiden.

Die Zahl der Lobbisten-Registrierungen und Meldungen von Lobby-Aktivitäten durch die NGOs erheblich zurückgegangen. Die NGO-Vertreter gaben im Verhältnis 2:1 in der Umfrage an, sie seien dabei von den Vorschriften beeinflusst worden. Es sei zu einer übergroßen Vorsicht gekommen, da die NGOs besonders sensibel bei der Verletzung der Transparenzvorschriften seien. Die Folge sei, dass sich die NGOs bei der politischen Arbeit zurücknähmen. Sie nähmen weniger Termine mit Politikern wahr, um unterhalb der Zeitschwellen zu bleiben, bei der die Meldepflicht einsetzt.

Der CLPI-Bericht kritisiert, dass der Informationsfluss zwischen Regierung und NGOs gestört sei. Auf der anderen Seite fielen zahlreiche nicht als Lobbyisten registrierte Wirtschaftsvertreter nicht unter die Vorschriften und seien in Positionen in den Ministerien und Behörden gewechselt. Der CLPI-Bericht sagt, nach zweieinhalb Jahren werde immer klarer, dass die privaten Interessenvertreter dadurch in ihrem Einfluss keineswegs beschränkt würden.


Das Weiße Haus reagierte laut Politico erst einmal defensiv – man bleibe bei den Regeln. Auch wenn das heißt, dass man den eigenen politischen Freunden die Tür vor der Nase zuknallt. (Oder etwas diplomatischer: „…even if that means there are talented public advocates who can’t work in the administration”, so Regierungssprecher Eric Schultz.). Bis zu den Wahlen 2012 dürften Änderungen im Regelwerk unwahrscheinlich sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen