Dienstag, 27. September 2011

Direkte Demokratie und Public Affairs

"Direktdemokratische Elemente erschweren die Arbeit von Public Affairs-Verantwortlichen", titelt die MSL Group Germany (ex Publicis) zu ihrer alljährlichen Umfrage (die zehnte). Die befragten 50 PA-Verantwortlichen führender Unternehmen und Verbände in Deutschland antworteten auf die Frage:
"Die Forderung nach mehr politischer Mitentscheidung durch die Bevölkerung ist in der aktuellen Debatte sehr populär. Aus Ihrer Unternehmens- oder Verbandssicht: Wie verändern direktdemokratische Elemente Ihre Public-Affairs-Arbeit?"
Aus der MSL Group PA-Umfrage 2011
Zwei Drittel der Befragten meinen: "Unsere Arbeit wird schwerer". Nur vier Prozent sind der Auffassung, dass die Arbeit leichter wird. Ein knappes Drittel erwartet keine Veränderungen (28 Prozent).


Überrascht? Nun ja, die Einschätzung der Folgen hängt zweifellos von Thema und Branche ab. In jedem Fall hätte man hier gern mehr erfahren (aber das gibt die Umfrage nicht her): Inwiefern wird PA "schwerer"? Schwerer im Sinne von komplexer, oder schwerer im Sinne von erfolgloser?

Was genau macht es ihrer Meinung nach schwer? Und: Sind die PA-Verantwortlichen in Unternehmen und Verbänden grundsätzlich kritisch gegenüber direkter Demokratie eingestellt, halten sie nichts davon -- oder blicken sie rein objektiv und professionell auf die Herausforderungen, die sich dadurch ergeben?

PA war in Amerika schon immer mit direkter Demokratie verknüpft

Historisch ist die Disziplin Public Affairs übrigens sehr mit direkter Demokratie verknüpft. Nicht im korporatistischen Europa, nein -- aber in den USA ist Public Affairs aus Lobbyarbeit und PR verschmolzen, als sich Unternehmen und Verbände auf der Ebene der US-Einzelstaaten durch Volksbegehren und Referenda herausgefordert sahen. Sie lernten, die direktdemokratischen Instrumente für die eigenen Zwecke einzusetzen -- und Menschen auch für die Wirtschaft zu mobilisieren.

Mit direkter Demokratie muss sich die US-Wirtschaft seit rund 100 Jahren auseinandersetzen, als das Progressive Movement diese in vielen Staatsverfassungen durchsetzte -- durchaus als Korrektiv für Volksvertretungen verstanden, die den Reformern viel zu sehr unter dem Einfluss von Parteimaschinen und Lobbies standen. Heute sind Elemente direkter Demokratie in rund der Hälfte der Einzelstaaten etabliert.

Bereits in den 1930er Jahren lebten Wahlkampfberater davon, auch der Wirtschaft Instrumente des modernen Medien-Wahlkampfes für Kampagnen um Volksbegehren und Referenda zu führen. In den 1970ern verbreitete sich der professionelle Kampagnenansatz enorm, und nun kamen neben TV- und Radio-Spots Datenbanken, Direct Mail und Telemarketing hinzu. Da auch die Gegenseite aufrüstete, Gewerkschaften und NGOs zum Beispiel, wurden die Kampagnen immer aufwändiger.

In diesen Wahlkämpfen ohne Kandidaten ging es um Energiepolitik und Steuern, Gesundheitspolitik und Bildung, Verbraucherschutz und Versicherungsrecht und vieles mehr.  Aus dieser Zeit stammt der starke Schwerpunkt der amerikanischen PA-Praktiker, die Graswurzeln (Grassroots) zu pflegen und zu mobilisieren sowie eine sehr öffentliche Lobbyarbeit in Gang zu setzen, wenn von der öffentlichen Meinung die Entscheidung abhängt.

Damals jammerten auch viele im Business, wie schwer das alles sei. Natürlich ist es das. Tausende, Hunderttausende oder gar Millionen Wähler zu überzeugen ist immer schwerer als nur eine Handvoll Entscheidungsträger. Es kostet sehr viel mehr Geld, und es verlangt nach noch mehr Professionalität.


Für die Beratungsfirmen war diese Entwicklung natürlich ein Segen. Bald holten sich auch Verbände und Unternehmen die Kampagnenfähigkeit ins eigene Haus.Vielen wurde klar, dass Volksbegehren und Volksentscheide gewisse strategische Vorteile mit sich bringen -- vor allem, wenn man etwas verhindern möchte. Für mitgliederorientierte Verbände zeigt sich zudem die Chance, an der Mitgliederbasis echte politische Aktion und Beteiligungsmöglichkeiten umzusetzen.

Zudem lassen sich die Instrumente, die bei direktdemokratischen Entscheidungen so wichtig sind, hervorragend mit den Werkzeugen kombinieren, die man in der Lobbyarbeit bei den Repräsentativorganen braucht.

Das ist es, was Public Affairs wirklich spannend macht. Wer PA nur als erweitertes Hinter-den-Kulissen-Lobbying versteht, wird das nicht so sehen. Aber zumindest im Heimatland USA war Public Affairs schon immer mehr als das.

1 Kommentar:

  1. "In jedem Fall hätte man hier gern mehr erfahren (aber das gibt die Umfrage nicht her)"

    Das habe ich mir auch gedacht. So bleibt das Ganze leider rein deskriptiv, ohne Analyse. Umso dankbarer bin ich für Ihre Einordnung des Themas. Man könnte da auch noch mal einen aktuellen innereuropäischen Vergleich anstellen. Denn wir haben ja mit der Schweiz einen Nachbarstaat mit sehr vielen direktdemokratischen Elementen. Wie wirkt sich das dort auf die PA-Branche aus?

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