Freitag, 9. September 2011

"Sauberes Lobbying": Forcierte Marktbereinigung per Lobbyregister -- oder Anreize für freiwillige Transparenz?

Der Streit unter Interessenvertretern über die Lobby-Regulierung geht in eine neue Runde. Die vier Branchen- und Berufsverbände im Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) sind sich überhaupt nicht einig, wohin die Reise gehen soll -- weshalb der DRPR dazu gegenüber der Politik derzeit gar keine gemeinsame Position hat. 
  • Zum DRPR gehört die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (degepol). Sie macht sich für ein verpflichtendes Lobbyisten-Register stark und weiß Transparency International an ihrer Seite. An die Registrierung sollen perspektivisch Privilegien gekoppelt sein -- in einem Brief an den Bundestagspräsidenten verlangte die degepol etwa, Bundestags-Hausausweise sollten nur an Interessenvertreter ausgegeben werden, die sich auf Verhaltenskodizes verpflichten sowie „umfassenden und sanktionsbewehrten Transparenzpflichten mit Angaben zu Personen, Zielen und finanziellem Aufwand des Lobbyings“ nachkommen. Auch Privilegien in Gesetzgebungsverfahren sind angedacht. Aber degepol-intern ist diese Position nicht unumstritten. Für Irritation sorgt nicht zuletzt die Aussage, mit dem Register zu einer "Marktbereinigung" im Berater- und Agenturenmarkt zu kommen.
  • Die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) hält davon gar nichts. Ein "öffentliches Verzeichnis" aller Interessenvertreter, das nicht nur die Verbände enthält wie die in den 1970er Jahren eingeführte Verbändeliste des Bundestages, will auch die DPRG. Aber ihr Arbeitskreis Public Affairs setzt weiter auf Freiwilligkeit und will "eine reine Registrierungsdiskussion" verhindern.
DPRG: "Sauberes Lobbying gelingt auch freiwillig"
Für die DPRG macht Kathrin Zabel im August-Heft des PR Report ziemlich unmissverständlich klar, dass ein gesetzlich verankertes Pflichtregister nicht in Frage kommt. Zabel, Mitglied des Lenkungskreises der DPRG-Gruppe, ist bezeichnenderweise auch degepol-Mitglied. Beruflich ist Zabel Senior Manager Government and Public Affairs in der Berliner Konzernrepräsentanz der Deutschen Post DHL. Sie schreibt in ihrem auch auf den DPRG-Internetseiten publizierten Beitrag "Sauberes Lobbying gelingt auch freiwillig":
"Anstelle einer gesetzlichen Regelung sollte vielmehr mittels eines Anreizsystems eine Selbstregulierung auf der Basis von Freiwilligkeit erfolgen. Solch ein öffentliches Verzeichnis, in das sich alle Lobbyisten, politischen Berater und Dienstleister freiwillig mit ihren Kontaktdaten und Schwerpunkten eintragen können, schafft mehr Transparenz. Es sollte beim DRPR geführt werden, der seit Jahren innerhalb der PR-Branche für Absenderklarheit eintritt.Die DPRG setzt in der Transparenzfrage auf einen sachlichen und fairen Interessenausgleich zwischen Politik, Gesellschaft und Interessengruppen. Es gilt, das eigentliche Ziel – sauberes Lobbying – zu diskutieren und die Debatte nicht auf eine reine Registrierungsdiskussion zu reduzieren." 
Als Unternehmenslobbyistin setzt sich Zabel persönlich nicht unbedingt in die Nesseln. Die Auseinandersetzung ist vor allem eine der Agenturen, Beratungsfirmen und freien Berater.

"Politiker sind doch nicht blöd"
Bei einer Veranstaltung der DeutschlandGroup 2010 (siehe Video) sagte Zabel:
"Der Grundgedanke, dass es transparent ist, für wen man unterwegs ist, ist durchaus begrüßenswert. Da habe weder ich ein Problem damit, noch unser Unternehmen. Und wenn jetzt noch irgendwo eine Website existiert, in der steht, `Katrin Zabel wirbt für Deutsche Post DHL`, ist das völlig ok.


Jedoch zweifelt sie, "muss das gesetzlich geregelt werden? Brauchen wir das wirklich eine so detaillierte Regelung, und ist die auch wirklich zielführend?" Für die Politiker sei ein Pflichtregister nicht unbedingt eine Hilfe: "Die sind doch nicht blöd, man muss doch auch mal schauen, das sind doch erwachsene Menschen und darüber hinaus gewählt, die haben alle Erfahrung."

Das ist sicher richtig. Dahinter steckt aber die Frage, ob ein Register -- oder Transparenzregelungen allgemein -- nur für die Politiker gedacht ist. Die Sicht von degepol und DPRG ist begrenzt auf die professionelle Beziehung zu den Adressaten der Lobbyarbeit. Für die Registerfreunde von Transparency International oder LobbyControl ist das Kernanliegen dagegen nicht, Politiker besser über die Lobbyisten zu informieren, sondern die Beziehungen zwischen Politikern und Interessenvertretern öffentlich kontrollierbar zu machen. Es gibt also unterschiedliche Sichtweisen auf das Problem: Transparenz ("Durchsichtigkeit") für wen eigentlich?

"Hauen und Stechen in der Lobbybranche" 
Nach einem Jahrzehnt Berliner Republik und schwierigen Jahren in der Finanz- und Wirtschaftskrise ist längst klar: Die deutsche Politikberaterwelt wird nicht mehr vom Boom bestimmt, sondern von Konsolidierung. Sie zeigt sich an Fusionen, Übernahmen, Verdrängungswettbewerb  – und einem Ringen um Marktanteile und Marktmacht.

Von einem "Hauen und Stechen in der Lobbybranche" sprach im April der Journalist Jens Kiffmeier ("Die Gier der Strippenzieher", news.de):
Verbände, Ex-Politiker, Anwälte, Selbstständige, Berater – sie alle ringen um Einfluss bei den Abgeordneten. Und nicht alle spielen nach den gleichen Regeln. Die einen arbeiten offen, die anderen verdeckt. Laut degepol-Sprecher Kretschmer [Heiko Kretschmer, degepol-Ethikbeauftragter und Repräsentant im DRPR und Chef der Berliner Agentur Johannsen + Kretschmer] sind es vor allem Einzelpersonen, die im Graubereich arbeiten – und die man seiner Meinung nach "mit dem Register aussortieren sollte".

So wie Kretschmer denken viele Lobbyisten. Längst sind nicht alle Interessenvertreter Gegner der Idee. Warum auch? Die Konkurrenz ist groß. Ein Register, mit dem mögliche schwarze Schafe aus dem Geschäft gedrängt werden könnten, eröffnet den anderen vielleicht neue Chancen. Kretschmer gibt das gerne zu: "Natürlich sehen wir in der Initiative eine Möglichkeit zur Marktbereinigung."
[...] [M]it einem Register könnten Politiker schon nachvollziehen, mit wem sie sich treffen und aus welchem Grund. Sollte ein Interessenvertreter nicht registriert sein, bräuchte man kein Gespräch zu arrangieren. "Diese Verantwortung kann man der Politik nicht abnehmen", sagt Kretschmer.
Die degepol macht Berufspolitik für ihre Branche
Die Positionierung der degepol ist das Ergebnis eines längeren Prozesses. Bei der Gründung 2002, damals zunächst als "Berliner Initiative junger Politikberater", ging es um Identitätsfindung, Netzwerk, eine Plattform für junge Politikberater – mehr nicht. "Den Mitgliedern ging es bei der Gründung von degepol nicht um die Etablierung eines neuen Berufsverbandes", schrieb Ko-Gründer und Vorsitzender Dominik Meier 2002 [S. 441].

Das ist inzwischen anders. Heute nennt sich die degepol Berufsverband, und sie lässt -- siehe oben -- Tendenzen zur "Marktbereinigung" erkennen. Man könnte auch Marktabschottung sagen.

Das ist professionstheoretisch nicht überraschend. Es gehört zum berufspolitischen Einmaleins, das Territorium gegen andere Berufsgruppen zu sichern, ja Rivalen als Amateure oder Scharlatane hinzustellen [Althaus, 1998, S. 41]. Da der Berufszugang nicht über staatlich kontrollierte Qualifikationsprüfungen und Lizenzen beschränkt werden kann, geht degepol den Weg über Transparenz- und Ethikfragen. 

Was mit einem freiwilligen degepol-Verhaltenskodex und Qualitätskriterien begann, mündete in die Ko-Trägerschaft des DRPR als Selbstkontrollorgan, dann in Forderungen nach Regulierung und Registrierungspflichten nebst staatlicher Sanktionen. Sie könnten den einen die Zugänge zur Politikberatung erleichtern und den anderen erschweren.

Es ist dementsprechend unter Beratern sehr umstritten,
  • ob es überhaupt ein Register geben sollte und 
  • wie weit es gehen darf, etwa in der Pflichtmeldung von Auftraggebern, Personal, Zeitaufwand, Umsatz und Budgets ab bestimmten Schwellenwerten, oder 
  • ob es sich nur auf den Bundestag oder auch die Bundesregierung beziehen soll, was zur Folge hätte, dass der Bundestag das Register nicht nur in seiner Geschäftsordnung verankern  kann, sondern ein Gesetz machen muss. 

Mit ihrer strikten Forderung steht die degepol derzeit isoliert im DRPR da. Die anderen drei Trägerorganisationen – DPRG, Gesellschaft Public Relations Agenturen (GPRA) und Bundesverband der Pressesprecher (BdP) – halten dazu Abstand.

Im Bundestag erwärmt sich bisher nur die Opposition für diese Ideen. Die Regierungsfraktionen schmetterten deren Anträge auf Einrichtung eines Registers ab. Heiko Kretschmer ist laut news.de der Auffasssung, dass Union und FDP hier einen Fehler machen: "Ihre Rundum-Ablehnung können die Regierungsfraktionen nicht mehr lange aufrechterhalten." Die öffentliche Meinung stehe nicht hinter ihnen. "Mit ihrem Nein sind sie klar in der Minderheit. Das können sie sich nicht leisten."

Rivalitäten zwischen Kommunikationsagenturen und Anwaltskanzleien
Markant ist der Ruf der degepol nach Pflichtregistrierung in einer Hinsicht: „keine Ausnahmen.“ Weder NGOs noch Think Tanks sollen sich drücken können, aber diese Forderung zielt vorrangig auf die Konkurrenz der Anwaltskanzleien, die sich als politische Advokaten nicht auf Mandantenschutz und Schweigepflicht der Rechtsanwaltsordnung beziehen sollen dürfen. [degepol, Eckpunktepapier…, 2009, S. 3.] Darum schaltete sich degepol auch in die Debatte um das Gesetzgebungs-Outsourcing ein: Ministerien müssten über die Mandanten der Kanzlei informiert, Interessenkonflikte im Vergabeprozess transparent gemacht werden [degepol, Mitarbeit..., 2009].


Anwaltskanzleien halten von umfassenden Registerpflichten nichts. Das hat sich in Brüssel beim langen Rangeln ums EU-Lobbyregister gezeigt, und auch in Berlin begegnen die Sozietätsjuristen der Idee kühl. Von der Pro-Register-Position der US-Anwaltsvereinigung ABA sind die in Deutschland tätigen Kanzleien weit entfernt. In der Stellungnahme zum Grünbuch der EU-Kommission zur Europäischen Transparenzinitiative 2006 kommentierte die Bundesrechtsanwaltskammer, sie sehe keine Lobbyarbeit in "anwaltliche Tätigkeiten bei der auf den Einzelfall bezogenen Interessenvertretung gegenüber europäischen Organen und Einrichtungen."
"Vertritt der Rechtsanwalt seinen Mandanten gegenüber der Kommission im Rahmen der unmittelbaren Anwendung bestehenden Gemeinschaftsrechts, so z. B. des Wettbewerbsrechts oder des Beihilferechts, so handelt es sich hierbei um originär anwaltliche Tätigkeit und nicht um Lobbyarbeit. In diesem Fall kommen die geltenden Verfahrensvorschriften der Europäischen Kommission sowie das Berufsrecht des Anwalts zur Anwendung. Originär anwaltliche Tätigkeit in Verfolgung mandatierter Einzelinteressen fällt insofern nicht unter den Begriff der Lobbyarbeit.

Anwaltliche Tätigkeit liegt ferner immer dann vor, wenn der Anwalt für seinen Mandanten eine Rechtsvorschrift anwendet, auslegt oder nachsucht. Ob es sich hierbei um geltendes Recht oder zu schaffendes Recht handelt, macht keinen Unterschied. Der Mandant sucht den Anwalt gerade wegen seiner juristischen Fachkenntnisse in dieser Frage auf. Liegt ein Fall der anwaltlichen Tätigkeit vor, unterliegt der Anwalt dem strengen und vorrangigen Verschwiegenheitsgebot. Das bedeutet, er kann nur mit Einverständnis seines Mandanten die Identität des Mandanten offenbaren. Nur der Mandant kann den Anwalt von der Verschwiegenheit entbinden."
Diese Position nehmen die Juristen grundsätzlich auch bei der deutschen Registerfrage ein. Allerdings räumte der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Axel Filges, jüngst zumindest beim Gesetzgebungs-Outsourcing durch Ministerien an Kanzleien einen Bedarf "größtmöglicher Transparenz" und "Offenlegungspflicht für die früheren einschlägigen Mandatsbeziehungen" ein; "vorzugswürdig" sei  "allerdings die Offenlegung nur begrenzt gegenüber einem Parlamentsgremium, damit die letztentscheidenden Parlamentarier die Interessenkonfliktsituation einschätzen können." Immerhin scheint bei den Anwälten Bewegung in die Transparenzfrage gekommen zu sein. Doch beim Lobbyregister ist allzu viel Bewegung erst einmal nicht zu erwarten.

Wirtschaftskanzleien kamen später nach Berlin als die PR-Spezialisten. Zunächst schien es so, als hätten die Juristen den Einstieg ins neue politische Geschäft verpasst [Oppel, 2007]. Um 2000 waren nur wenige amerikanische law firms präsent. Heute ist der Brückenkopf Berlin, zum Missvergnügen der Agenturen, eine gut ausgebaute Festung anwaltlicher Politikberatung.

Bei manchen Projekten arbeiten Kommunikationsberater und Anwaltskanzleien Hand in Hand. Aber die Rivalität zwischen ihnen ist offensichtlich geworden.

Mitte des letzten Jahrzehnts fiel Marktbeobachtern in der Fachpresse auf, dass die neue Konkurrenz sich in der Politikberatung und politischen Interessenvertretung breit macht.
Anwälte sind von Berufs wegen prädestiniert, Interessen zu vertreten. Für welche Mandanten die Arbeit erledigt wird, spielt dabei nicht die entscheidende Rolle“, erläuterte ein Berliner Jurist; neu sei, dass Anwälte offen zugeben, sich auf Lobbying spezialisiert zu haben [Oppel, 2007].
Anwälte haben ja immer schon in diesem Bereich gearbeitet“, bestätigte ein PR-Agenturchef. „Neu ist, dass sie heute diese Beratungsleistung als Paket definieren und – soweit man davon sprechen kann – konkrete Produkte anbieten“. Das Fachblatt Juve beobachtete, die Anwälte hätten bei Selbstvermarktung und Außenwahrnehmung den Fehdehandschuh geworfen und seien von Agenturen nicht weit entfernt. „Strategisches Umdenken“ und „Mentalitätswechsel“ sei festzustellen: Kanzleien warteten nicht darauf, dass sich aus anderen Mandaten Aufträge ergäben, sondern trügen politische Themen aktiv in die Kundenkreise [Barth, 2006, S. 24].  

Anwälte sind deutlich teurer als Agenturen. Aber sie haben Vorteile. Es beginnt beim Zugang zu Kunden und Adressaten: Sie bauen politische Aufträge auf Altmandaten bei Großunternehmen und Verbänden auf. Zu Ministerien – in denen überwiegend Juristen sitzen – haben Verwaltungsrechtler und Spezialanwälte (z.B. für Netzregulierung, Umwelt- und Gesundheitsrecht, Handelsfragen, Steuerrecht) einen guten Draht. Fachkunde wird kombiniert mit dem „juristisch-handwerklichen Teil bei Projekten mit komplexem politischen Hintergrund“ [Barth, 2006, S. 27].

Politik und Verwaltung sind von hoher Verrechtlichung und legalistischer Kultur geprägt. Anwälte intervenieren in der richtigen Form und Sprache. Manche Kanzleien haben prominente Politiker als Türöffner der Akquise rekrutiert.

Anwaltliche Privilegien spielen ebenfalls eine Rolle – die Verschwiegenheitspflicht zum Beispiel, aber auch das bis 2005 geltende Monopol bei der Fördermittelberatung. Gegen nichtjuristische Berater gingen Kanzleien rabiat mit Abmahnungen und Gerichtsverfügungen vor. Public-Affairs-Agenturen versuchten sich durch feine Unterschiede zwischen Fördermittelberatung und Förderpolitikberatung zu retten. Die Unsicherheit wurde erst durch den Bundesgerichtshof beendet, der 2005 feststellte, dass das Rechtsberatungsgesetz hier nicht anwendbar sei, also auch Nichtjuristen tätig sein dürfen. Der Musterprozess wurde vom Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) angestrengt. 

Die Konkurrenz dreht sich nicht nur ums Lobbygeschäft, sondern auch um Regierungsaufträge -- wobei sich Kommunikationsagenturen durch Anwälte freilich nicht bei Öffentlichkeitsarbeits- und Kampagnen-Etats bedroht sehen, aber die Nähe der Kanzleien zu den Ministerien gleichwohl kritisch beäugen.  Denn auch inhaltliche Politikberatung sehen sie als Metier der Agenturen.

Das Nachrichtenmagazin Focus gönnte den internationalen Kanzleien 2010 eine Titelstory: „Die unheimliche Elite – Wie riesige Anwaltsfabriken Wirtschaft und Politik beeinflussen“. Darin wurde erneut die Zuarbeit von Großkanzleien wie Linklaters oder Freshfields für Ministerien thematisiert. Für die renommierten law firms ist das eher ein kleines Zusatzgeschäft, aber immerhin: Allein 2008 gab die Bundesregierung laut Focus € 40 Mio. für externe juristische Beratung aus [Sachse, 2010].

Offenbar gab es zuvor eine eher zurückhaltende Praxis bei der Auftragsvergabe, vor wenigen Jahren aber einen Sprung und deutlich höhere Bereitschaft, externe Berater hinzuziehen. Die Regierung erklärte 2009, zwischen 1990 und 2009 hätten externe Berater (nicht nur Anwälte) an 61 Gesetzen mitgewirkt, davon allein 36 in der Verantwortung des Umweltministeriums, zehn weitere aus dem Verbraucherschutzministerium. Ungefähr € 6 Mio. (wobei einige Daten fehlen) wurden für Beraterhonorare insgesamt fällig – in zwei Jahrzehnten [Deutscher Bundestag, 2009]. Anwaltsleistungen werden aber noch in größerem Ausmaß von Bundesländern und Kommunen in Anspruch genommen [Jahn, 2010].

Große Kanzleien und Beratungen leben oft nicht schlecht vom Bund“, stellte die Financial Times Deutschland 2011 fest, allerdings auch eine „haarsträubende Vergabepraxis der Ministerien“. Von 2005 bis 2009 vergaben diese laut eines Prüfberichts des Bundesrechnungshofs 33 Aufträge bei insgesamt 537 Gesetzesverfahren. Keine gewaltige Zahl, aber trotz großer Honorare gab es nur wenige Ausschreibungen – meist begründet mit Dringlichkeit, was die Prüfer wenig glaubwürdig fanden. Sie wunderten sich auch über den Inhalt der Auftragsarbeiten: So wurde eine Kanzlei damit beauftragt, eine Sitzung des Bundestags-Verkehrsausschusses zu protokollieren (45 Stunden Arbeit, Honorar € 17.200). Ein Ministerium zahlte € 5.900 für die Beantwortung einer Parlamentsanfrage. Zwei Ministerien beauftragten jeweils Anwälte, um einen Streit zwischen den Ressorts beizulegen [Pache, 2011].

Solche Honorarsummen sind für Kommunikationsagenturen nicht leicht zu realisieren; wenn sie diese Art der Aufträge überhaupt erhalten. Dass die Anwälte per freihändiger Auftragserteilung für die Regierung tätig werden, während bei den PR-Arbeitern ein wachsender Aufwand für Ausschreibungen hohe Kosten verursacht, macht die Agenturen ebenfalls missmutig.
 
Agentur-Sorgen um Qualität und Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells

Die wirtschaftliche Situation für Agenturen in der politischen Kommunikation und Interessenvertretung hat sich seit 2008-10 sicher gebessert, aber immer mehr ist die Frage, ob sich im Wettbewerb die Qualität der Beratung durchsetzt -- oder der Preis und aufwändiges Beratungsmarketing.

Kretschmer erörterte 2010 in seinem Strategieblog die "Diskussion um Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftsmodells". Er sorgt sich um Qualität wegen hoher Mitarbeiterfluktuation und Produktionsdruck, um Innovationskraft, Überlebensfähigkeit der Agenturen und den hohen Aufwand für Pitches und Wettbewerbsausschreibungen. Kretschmer argumentiert, dass Agenturen von ihren Auftraggebern Fairness und Verlässlichkeit erwarten, aber auch "nachhaltige Beratung" liefern müssen:
"Nachhaltige Beratung heißt dem eigenen Kunden keine kurzfristigen Erfolge verkaufen, sondern ihn nachhaltig positionieren. Nachhaltige Beratung heißt dem Kunden auch eine kontraproduktive Idee auszureden,  selbst wenn sich damit Geld verdienen ließe. Nachhaltige Beratung heißt Risiken der Kommunikation zu erkennen und daher davon abzuraten. Nachhaltige Beratung empfiehlt relevante, intelligente Kampagnen, statt marktschreiender Auftritte. Und eines ist klar: Projekt- und Beraterteams, die aus Praktikanten und Volontäre bestehen, können diese Form der nachhaltigen Beratung nicht leisten."
Das sind richtige, wichtige und ehrenwerte Einsichten, die Professionalität widerspiegeln. Professionelle Arbeit hat ihren Preis, oder sollte ihren Preis haben. Wollen und können die Auftraggeber ihn zahlen? Ganz offensichtlich nicht immer.

Oder die Auftraggeber legen unterschiedlich Maß an unterschiedliche Berater an, denn Politikberater ist nicht gleich Politikberater. Die Public-Affairs-Szene teilt sich offenbar in einen Premium-Markt und einen zweiten Markt. Wirtschaftskanzleien klagen zwar auch darüber, dass sich mit politischen und insbesondere staatlichen Mandanten nicht so viel verdienen lässt wie mit ihren Firmenklienten. Doch scheint es so zu sein, dass die großen Anwaltssozietäten andere Markt- und Preisstrukturen aufrechterhalten können als die Kommunikationsdienstleister. Auch bei den Kanzleien knechten Jungjuristen, jedoch deutlich besser bezahlt und mit einer viel großzügigeren Infrastruktur.

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Quellen
  • Althaus, Marco, Wahlkampf als Beruf. Frankfurt: Peter Lang, 1998.
  • Barth, Ulrike,  „Distanzierte Nähe - Der lange Weg zur Public-Affairs-Beratung in Berlin“,  Juve, November 2006, S. 23-30, http://marcoalthaus.de/resources/JUVE+RM+11+Lobbying1.pdf [3.3.2011].
  • Bundesgerichtshof, Fördermittelberatung durch Unternehmensberater unterfällt grundsätzlich nicht dem Rechtsberatungsgesetz. Pressemitteilung 34/2005 zu Urteilen vom 24.02.2005, Az.: I ZR 128/02 und I ZR 129/02, 24.02.2005, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&sid=ffcc1c3bd076da91cfc515e3869abc2a&nr=32259&pos=0&anz=2 [19.6.2011].
  • Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke – Mitarbeit von Privaten an Gesetzentwürfen und Arbeitsfähigkeit der Bundesministerien. Drucksache 16/14025, 26.10.2009, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/141/1614133.pdf [5.7.2011].
  • Deutsche Gesellschaft für Politikberatung, Eckpunktepapier zu einem Register für Interessenvertreter in Deutschland. Beschluss der Mitgliederversammlung vom 17.12.2009. Internetdokument, 2009, http://www.degepol.de/transparenz/das_eckpunktepapier_der_degepol_zu_einem_register_fuer_interessenvertreter_in_deutschland.pdf [28.5.2011].
  • Deutsche Gesellschaft für Politikberatung, Mitarbeit von Rechtsanwälten an Gesetzen muss transparent sein. Pressemitteilung, 12.8.2009), http://www.degepol.de/presse/pressemitteilungen/mitarbeit_von_rechtsanwaelten_an_gesetzen_muss_transparent_sein.pdf [28.5.2011].
  • Filges, Axel C. (2010). Gesetzgebungsoutsourcing - ein neues Berufsfeld für Rechtsanwälte? BRAK Mitteilungen, 41(6), 239-253. Online auf http://www.brak-mitteilungen.de/media/77818_brak0610_druckdatei_low.pdf
  • Jahn, Joachim, „Selbst die Gesetzgebung wird manchmal ,outgesourced‘“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.9.2010, http://www.faz.net/-01ita5 [10.6.2011].
  • Meier, Dominik, „Plattform für ein neues Berufsfeld“, Kampagne! 2 Neue Strategien für Wahlkampf, PR und Lobbying. Hg. Marco Althaus und Vito Cecere, Münster und Berlin: Lit, 2002, S. 436-447.
  • Oppel, Kai, „Kanzleien fassen in der Welt des Lobbyings Fuß“, Financial Times Deutschland, 19.4.07, http://www.ftd.de/karriere-management/karriere/:kanzleien-fassen-in-der-welt-des-lobbyings-fuss/187587.html [3.3.2011].
  • Pache, Timo, „Kontrolleure monieren lasche Auftragsvergabe der Regierung“, Financial Times Deutschland, 30.3.2011, http://www.ftd.de/politik/deutschland/:externe-berater-kontrolleure-monieren-lasche-auftragsvergabe-der-regierung/60033048.html [27.5.2011].
  • Sachse, Katrin, „Die Herren der Welt“, Focus 11, 13.3.2010, http://www.focus.de/finanzen/news/tid-17780/deutschland-die-herren-der-welt_aid_489344.html [9.4.2011]

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