Sonntag, 27. Juni 2010

BP-Einfluss auf Umweltschützer: "ein Schock, der die NGO-Szene verändern wird"?

Das Ölunglück im Golf von Mexiko legt in den USA auch das Beziehungsgeflecht von BP offen. Neu im Fokus: Umweltschutz-NGOs, die lange mit BP kooperierten und Spenden annahmen. In der Krise rächt sich das. Kritiker fragen sich, ob sich Umweltschützer kaufen ließen -- oder zumindest den Schneid abkaufen ließen. Die Enthüllungen führen zur Frage: Ist das "ein Schock, der die NGO-Szene verändern wird"? Und: Sollten NGOs, die mit der Wirtschaft zusammenarbeiten wollen, nur noch auf ehrliche Mittelständler setzen und sich großen Konzernen verweigern?

BP gehört seit langem zu jenen Energiekonzernen, die viel in ihr bürgerschaftliches Engagement und den Dialog im Rahmen der "Corporate Social Responsibility" (CSR) investieren und darüber kommunizieren: im Web, auf Veranstaltungen, in Publikationen, im Web. Das hat viel mit der Strategie "BP = Beyond Petroleum" zu tun, die das Unternehmen in neuen Energiemärkten positioniert und sich nicht nur beim Image, sondern auch im Realgeschäft vom Erdöl wegbewegt. Das hatte Erfolg, BP galt als relativ grün. Aber Kritiker haben BP immer vorgeworfen, damit nur "Greenwashing" zu betreiben, sich also nur ein Öko-Feigenblatt vors Gemächt zu hängen. Mit jedem Öl-Unfall wird die Kritik lauter.

BP hat früh betont, dass es für CSR Grenzen gibt: Ein Unternehmen ist stets zuerst seinen Eigentümern verpflichtet. Es gibt ideologische Grenzen. Ein Unternehmen ist nicht der Staat und hat kein Mandat der Bürger. Es gibt praktische Grenzen, weil ein Unternehmen begrenzte Ressourcen, begrenztes Wissen und begrenzte Reichweite hat. Und es gibt Interessenkonflikte. Allerdings verändern sich die Grenzen, meint BP, und was gestern noch Grenze war, kann morgen ein Startpunkt sein.

Der Konzern hat stets beteuert, mit offenen Karten zu spielen und CSR auch nicht als politisches Vehikel zu instrumentalisieren, sondern CSR als gesellschaftliche Aktivität und Ausdruck politischer Klugheit zu verstehen. Lesenswert dazu: Die Rede von Kommunikationschef Ulrich Winkler zum Thema "Corporate Social Responsibility (CSR) als Lobby-Strategie?" bei "Netzwerk Recherche" von 2008:
Corporate Responsibility formuliert, wie ein Unternehmen sein Geschäft betreiben will. Das ist der Kern. Welchen Anspruch stellen wir an uns? Das ist zunächst mal nicht Lobby, PR oder Marketing; es ist Selbstverfassung. Corporate Responsibility ist Anleitung und Verpflichtung zur Eigenverantwortung eines Unternehmens. Das hat wenig mit Sahnehäubchen, mit Schmuckbeilagen oder Make-ups zu tun. Wir begreifen unseren Code of Conduct als Teil der Geschäftspraxis, als Selbstverpflichtung. Wir messen uns daran. Und werden daran gemessen.

Das tun nicht alle Unternehmen und es tun nicht alle so klar wie wir. Und für diese Redlichkeit muss man keinen Spott ertragen. Man mag finden, dass wir hier und dort unseren Ansprüchen nicht gerecht werden. Traurig genug. Und natürlich gibt es dafür Beispiele, die uns schmerzen. Aber in die Debatte dazu sind wir sehenden Auges gegangen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Und dafür
würden wir, wenn ich ganz ehrlich sein darf, gerne gelobt und nicht getadelt.
CSR wird gerade in einer Krise wertvoll, weil die Kommunikationskanäle zu den Stakeholder-Gruppen offen sind. CSR wird auch deshalb im Management geschätzt, weil es ein Stück Krisenprävention ist. Die BP-Krise aber zeigt, dass das keine Einbahnstraße ist.

Sollten die NGOs aus der BP-Krise lernen, dass zu große Nähe auf die Dauer riskant ist, dürfte das erhebliche Konsequenzen für die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft haben. Und für die Politik. Denn wenn das Vertrauen der NGOs in die Unternehmen sinkt, werden sie sich weniger auf freiwillige Vereinbarungen einlassen -- und bei der Politik wieder stärker gesetzliche Regulierung einfordern. Den Strategen der Konzerne und Wirtschaftsverbände wird das nicht gefallen.

Nun steht BP wieder als klebriger, verantwortungsloser Ölmulti da. Ein Reputationsdesaster. Das zieht manche "Partner" der CSR in den Sog. In den USA muss sich die Umweltschutzorganisation Nature Conservancy über ihre "Partnerschaft" mit BP kritische Fragen gefallen lassen, wie die WamS berichtet, wie schon u.a. die Washington Post zuvor. Die NGO (eine Million Mitglieder) hat seitdem einige Probleme:
Der Imageschaden ist immens. Das Onlineforum ist voll von entrüsteten Kommentaren. Mitglieder kündigen ihren Austritt an, Förderer ziehen ihre Spenden zurück - die Organisation erlebt ihre ganz eigene Öl-Katastrophe.

Denn es geht nicht bloß um gelegentliche Kontakte und ein paar Spenden-Dollars. Ein Sprecher musste einräumen, dass The Nature Conservancy in mehr als 30 Jahren insgesamt 9,9 Millionen Dollar (acht Millionen Euro) von BP erhalten hatte, darunter auch Land für drei Millionen Dollar. Man habe mit BP und staatlichen Stellen zusammengearbeitet, um ökologische Schäden bei der Energiegewinnung möglichst gering zu halten, auch andere Umweltschutzorganisationen seien beteiligt gewesen - die Erklärungsversuche klangen beinahe so hilflos wie jene von BP.

"Im Nachhinein betrachtet, sind wir an die Partnerschaft mit BP wohl zu naiv herangegangen. Wir wollten Positives erreichen und haben dies auch. Doch natürlich werden wir jetzt in Gesamthaftung genommen", sagt Sascha Müller-Kraenner, Europa-Chef der Nature Conservancy, die in Deutschland mit dem Naturschutzbund zusammenarbeitet. "Wir erleben jetzt, wie riskant eine Partnerschaft mit einem solchen Unternehmen sein kann. Es ist ein Schock, der die NGO-Szene verändern wird."
Auch andere NGOs sind betroffen. Conservation International ließ sich Spenden in Höhe von zwei Millionen Dollar von BP überweisen, hatte lange einen BP-Manager im Vorstand. Der Environmental Defense Fund steht ebenfalls in der Kritik.

"Die Grenzen zwischen Gut und Böse scheinen zu verschwimmen", kommentiert das Blatt. Der Politikwissenschaftler Lutz Schrader wird zitiert: "Bis zu den 90er-Jahren agierten NGOs als komplementäre Kraft jenseits von Staat und Unternehmen. Dabei stellten sie die Legitimität der herrschenden Machtverhältnisse eher infrage". Da war die Welt noch klar zwischen Gut und Börse aufgeteilt. "Doch seither wurden sie mehr und mehr von Unternehmen und hierzulande mehr noch von staatlichen Institutionen vereinnahmt." Die WamS legt den Finger in die Wunde:
Die Rolle von Umwelt-, Friedens- oder Antiglobalisierungsorganisationen hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten radikal verändert. Anfangs bestand die Szene aus oppositionellen Gruppen, die mit ihren Protestaktionen oft an der Grenze zur Illegalität operierten. Heute sind viele zu Organisationen mit Pressesprechern und Expertenkadern herangewachsen, die in viele politische Entscheidungsprozesse - und zunehmend auch in unternehmerische - eingebunden werden. Sie haben an Einfluss gewonnen, doch zu welchem Preis?
Greenpeace ist eine der wenigen Organisationen, die nur wenige Kooperationsangebote der Wirtschaft zulassen und gar keine Unternehmensspenden annehmen. Die relativ strikte Kooperationspolitik erlaubt Greenpeace, viel aggressivere Kampagnen gegen Konzerne zu fahren -- und damit eine eigene Massenbasis von Spendern und Unterstützer zu unterhalten und zu mobilisieren. Die Unabhängigkeit ist die Basis für die hohe Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit. Punktuell setzt sich Greenpeace aber doch mit Unternehmen an einen Tisch -- die Zusammenarbeit mit McDonald's zum Schutz der Regenwälder ist ein Beispiel.

Die meisten anderen Umwelt-NGOs nahmen dagegen das Dialogangebot von Unternehmen wie BPaufgeschlossener an, und viele hatten auch finanziell etwas davon. Als besonders offen für Zusammenarbeit gilt der WWF, der eher als bürgerliche Naturschutzbewegung entstand und nicht als Protestnetzwerk.

Nun wird besonders kritisch diskutiert, ob das alles so weitergehen kann. Die Zeitung zitiert Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe:
"Es gehört mittlerweile zur Strategie vieler großer Industriekonzerne, NGOs für ihre Marketingzwecke zu vereinnahmen." Daraus spricht auch Verbitterung, denn die Umwelthilfe war als erste große deutsche Organisation auf die Konzerne zugegangen. Resch erzählt gerne, wie er in den 90er-Jahren Seit an Seit mit der Automobilindustrie und sogar einem schwedischen Mineralölkonzern den schwefelfreien Kraftstoff durchgesetzt habe. "Wer es mit der Nachhaltigkeit ernst meint, der muss mit den Unternehmen zusammenarbeiten - das war von Anfang an unser Credo."

Doch mittlerweile hat Resch einen Teil seines Glaubens an das Gute in den Vorstandsetagen verloren.

"Nachhaltigkeit ist für große Konzerne zunehmend zu einem reinen Kommunikations- und Marketingthema geworden. Die konkreten Taten gehen selten über das hinaus, was betriebswirtschaftlich eh geboten wäre." Resch hat erst kürzlich unschöne Erfahrungen gemacht: So habe er auf eine Zusage aus der Autoindustrie vertraut und diese öffentlich für einen geplanten Verzicht auf Kältemittel gelobt. Später erfuhr er, dass in Wahrheit nichts dergleichen geplant sei.

"Aufgrund schlechter Erfahrungen haben wir unsere Kooperationen mit Großkonzernen stark zurückgefahren", resümiert Resch, dessen Organisation immer noch eine knappe Million Euro im Jahr aus der Wirtschaft einsammelt. Doch bei den Partnern handle es sich inzwischen zu 90 Prozent um Mittelständler. Hier profitiere man zugleich von der Fachkompetenz der Partner: "Ehrliche Nachhaltigkeitsbemühungen finden Sie praktisch nur bei familiengeführten Unternehmen, die generationsübergreifend denken."
Die WamS schneidet auch das verwandte Thema der Professionalisierung von NGOs an, die natürlich auf einer erweiterten Ressourcenbasis beruht:
Nach dem Geschmack mancher altgedienter Kämpfer bewegen sich die Umwelt-Lobbyisten inzwischen etwas zu geschmeidig in parlamentarischen Ausschüssen und in Vorstandsetagen. "Die NGOs haben sich immer weiter entwickelt und sind immer professioneller geworden. Dabei haben sie vielleicht zu oft vergessen, sich umzudrehen", sagt Politikwissenschaftler Schrader.

Nun sei den Organisationen die Basis abhandengekommen. "Es wächst kaum kritisches Potenzial nach. Wie im Zeichentrick ist manche Organisation schon über die Klippe gelaufen. Der Absturz folgt mit zeitlicher Verzögerung."
Fazit: Wenn diese schlechte Stimmung in den NGOs Schule macht, müssen sich die Großunternehmen fragen, was sie in ihren CSR-Strategien falsch gemacht haben. Es kann überhaupt nicht in ihrem Interesse liegen, die NGOs in einer Krisensituation mit herunterzuziehen. Wie kitten Konzerne wie BP diese Erschütterung des Vertrauens?

1 Kommentar:

  1. Michael Hopf, Chef vom Dienst bei Greenpeace e.V., Hamburg, kommentiert:
    "Als Pressesprecher von Greenpeace (und in der Wams Zitierter) muss ich darauf hinweisen, dass ein wesentlicher Punkt des WamS-Artikel hier zu stark verkürzt dargestellt wird: 'Greenpeace ist eine der wenigen Organisationen, die nur wenige Spenden- und Kooperationsangebote der Wirtschaft zulassen.' Tatsächlich steht in der WamS richtigerweise, dass Greenpeace gar keine Spenden aus der Wirtschaft annimmt."

    Die Passage wurde korrigiert. M.A.

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