Sonntag, 13. Juni 2010

Kommerzielle Hochschulen -- ganz ohne feste Professoren? Ein radikales Geschäftsmodell aus der Schweiz

Ohne staatliche Lizenz geht in manchen Branchen gar nichts. Und wenn die Konkurrenz kartellartig die Lizenzbedingungen hochschraubt, ist der Marktzugang extrem schwierig. Gut für die, die "drin" sind. Schwer für die, die "draußen" sind -- oder etwas ganz anders machen wollen und an Tabus und Traditionen rühren.

Zum Beispiel im Bildungsmarkt, bei Schulen und Hochschulen. Reformer haben es da immer schwer. Bei Hochschulen ganz besonders, wo Staat und Akkreditierungsagenturen regieren.

Beim Bildungsblatt Karriere kann man dazu diese Woche einen interessanten Bericht lesen: Peter Lorange, Chef des Lorange Institute of Business (Schweiz), fordert die Akkreditierer heraus. Von "Revolution" und "Erdbeben" ist die Rede. Lorange hat große Pläne für seine private MBA-Schmiede, doch auf eines will er komplett verzichten: fest angestellte Professoren. Sein Netzwerk-Modell basiert auf totalem Professoren-Outsourcing. Wie eine Bank ohne jedes Eigenkapital. Was bei Seminaranbietern völlig üblich ist, gibt es bisher bei ordentlichen Hochschulen nicht.

Es ist rund um die Welt, quer durch Europa, und ganz besonders in Deutschland, das totale Tabu. Erst recht, wenn es um den immer noch renommierten MBA geht -- ein lukrativer und hart umkämpfter Premium-Markt. Darum lohnt sich der Blick auf den Vorgang.

Die staatliche Erlaubnis, eine Hochschule zu betreiben und akademische Grade zu verleihen, ist das eine. Diese hängt jedoch heutzutage auch von der Akkreditierung ab, die von Akkreditierungsagenturen vergeben wird. In diesen sitzen die etablierten, bereits akkreditierten Hochschulen -- die ihrerseits wenig Interesse daran haben, dass die eigenen Standards durch Innovationen aufgeweicht werden. Dazu gehören keineswegs nur staatliche Einrichtungen, sondern auch private, die bereits zum Club gehören. Je höher die selbst gesetzten Standards, desto besser ist ihre Marktposition geschützt. Das sagt natürlich keiner, sondern es geht selbstredend stets um Qualität in Lehre und Forschung. Unis wie Business Schools verweisen gern in Humboldtschem Sinne auf ihre Forschung, die erstklassige Lehre möglich mache. Die Hochschulen sorgen durch ihr Lobbying dafür, dass der Staat da keine Abstriche macht und zu viele Innovationen erlaubt.

Personal-Vorschriften lassen private Hochschulen oft scheitern

In Deutschland - wie auch anderswo - achten die Akkreditierer inzwischen mit scharfem Blick auf die finanzielle Ausstattung privater Hochschulen, und da Personalausgaben stets der größte Haushaltsposten sind, sind schon viele Managerschmieden gescheitert: SIMT Stuttgart, Bruchsal, Hanse-Uni Rostock, UMC Potsdam, Baltic College Güstrow und andere. Kleinsthochschulen mit 2 oder 3 festen Professuren haben es immer schwerer. Rund 120 private Hochschulen gibt es in Deutschland, Tendenz steigend, aber meist sind sie sehr klein. Am stabilsten sind dank Power-Marketing die kommerziellen Hochschul-Ketten, die von gewinnorientierten Betreibern wie SRH, Cornelsen- und Klett-Gruppe betrieben werden.

Der frühere Schiffahrts- und nun Bildungsunternehmer Lorange (66) hat im Juli 2009 für geschätzt 4,5 Mio. Franken die Reste der vor allem durch aggressives internationales Marketing ("World Executive MBA") Graduate School of Business Administration (GSBA) Zürich gekauft -- und unter eigenem Namen neu aufgestellt.

Die umstrittene GSBA ist so eine Sache für sich. Die 1968 gegründete Schule in Horgen bei Zürich ist in der Schweiz als Hochschule nicht anerkannt, ihr MBA-Titel darf daher in Deutschland nicht geführt werden, und eine relevante Akkreditierung hat sie auch nicht. Lange Zeit funktionierte das Modell nur dadurch, dass die GSBA mit amerikanischen Business Schools (Chicago, U of Maryland u.a.) kooperierte, deren Akkreditierung und Titel "ausgeliehen" wurden. Die sprangen nacheinander aber ab. Übrig blieb eine Partnerschaft mit der University of Wales. Die Methoden des früheren GSBA-Chefs Albert Stähli schädigten die Reputation ebenfalls, die zu "Abzocke"-Vorwürfen führten (siehe dazu z.B. diesen Spiegel-Bericht).

Ausgerechnet die GSBA, stöhnten viele Beobachter. Aber Lorange hat als Präsident des IMD von 1993 bis 2008 in Lausanne bereits eine Business School saniert -- und in die Topliga der Business Schools befördert. IMD entstand 1990 aus der Fusion zwischen der von Alcan Aluminium gegründeten IMI und der von Nestlé geförderten IMEDE. Nicht zuletzt durch Executive Education hat er den Umsatz verdreifacht.

Man traut dem in Wirtschaft, Hochschulwesen und Politik international gut vernetzten Lorange sehr viel zu. Doch das IMD hat zwar auch ein internationales Netzwerk, ansonsten aber ein klassisches Business-School-Modell mit festen Professoren. Das will er nicht replizieren, sondern etwas völlig Neues schaffen.

Allerlei interne Missstände gab es bei der GSBA genug. Lorange hatte erst einmal mit "Aufräumarbeiten" zu tun -- die FTD berichtete darüber. Vor allem war es eine Schrumpfkur, von allerlei Studiengängen und Kursen blieb das Weiterbildungsgeschäft mit kurzen Lehrgängen und die Executive MBAs für berufstätige Führungskräfte. Das sind Formate, die sich mit externen Lehrbeauftragten relativ leicht bespielen lassen. Der Professor für jeden Tag ist nicht nötig.

"Erdbeben ausgelöst"

Lorange möchte nun akkreditiert werden. Von der amerikanischen Association to Advance Collegiate Schools of Business (AACSB), von der Akkreditierungsagentur European Quality Improvement System (EQUIS), von der britischen Association of MBAs (Amba). Nur will er, was bei Akkreditierungen völlig unerhört ist, auf die Kernmannschaft verzichten. Stattdessen sollen, so Karriere, Dozenten der besten Wirtschaftshochschulen der Welt zu seinen Studenten in die Schweiz kommen, und nach getaner Arbeit wieder in ihre eigentliche Wirkungsstätte zurückfliegen.
"Er hat damit eine Art Erdbeben ausgelöst", sagt ein Professor einer französischen Schule. Es gibt Hochschulen, die ihren Professoren eine Nebentätigkeit bei Lorange gern untersagen würden. Denn deren Forschung, die ja auch in die Lehre einfließt, zahlt die Schule, an der sie angestellt sind. "Wenn viele Schulen so ein Modell hätten, wer bezahlt dann die Forschung?", fragt eine Professorin einer britischen Business School. Lorange will daher die Professoren und deren Heimat-Uni entlohnen. (...)
Lorange denkt in Spitzenkategorien, denkt sich als Märkte ambitionierte Jung-Manager aus Nordeuropa, Deutschland, Indien, China. Vielleicht will er eine chinesische Business School dazukaufen, ließ er die Handelszeitung wissen. Dass er zudem Kapital und Partner anziehen kann, glaubt man Lorange auch.

Alles gut und schön. Aber es bleibt das Kernproblem des hauptamtlichen Personals. Lorange will die Akkreditierer damit überzeugen, dass es sinnvoller ist, die Besten der Besten zeitweise auf den Campus zu bringen, statt eine kleine Zahl fester Professoren vorzuhalten. Die Torwächter des akademischen Establishments lassen sich aus guten Gründen kaum vom traditionellen Berufsbilds des Professors abbringen. Und genau das geht Lorange frontal an.

Kulturkampf um Akkreditierung in den USA

In den USA, dem Ursprungsland und Vorbild der europäischen Hochschul-Akkreditierung kann man vieles darüber lernen:

Dort fahren die kommerziellen Hochschulketten wie die University of Phoenix ihre Studiengänge mit bis zu 90 Prozent externem Personal. Feste Professoren gibt es, aber in der Regel lehren sie so gut wie gar nicht, sondern sichern in Führungs- und Verwaltungspositionen die Qualität und Einhaltung der Standards. Die dahinter stehenden Konzerne Apollo, DeVry, Career Education, Corinthian Colleges, ITT Educational Services, Strayer, Kaplan und andere mussten in den 1980ern und 1990ern mit massivem politischen Lobbying bei der Bildungspolitik dafür streiten, dass ihr quasi-industrielles Geschäftsmodell skalierbarer, zentral kontrollierter und auf Massenbasis mit Lehrbeauftragten basierender Lehre staatliche Lizenzen und eben auch Akkreditierungen erhielt (siehe dazu: Althaus, Die Anti-Harvards, bei Lit 2009).

Eines aber erreichten auch diese kraftvollen US-Konzerne nie: dass ihre Hochschulen ganz ohne eigenes akademisches Personal die Betriebserlaubnis erhielten und behielten. Im Gegenteil, die Akkreditierungsvorschriften werden weiterhin sehr streng angewendet. Akkreditierer und Behörden ließen sich auf viele Kompromisse ein, von den flexiblen Zulassungsbedingungen für Studenten über hundertprozentige Online-Studiengänge bis zur Nichtvorhaltung physischer Bibliotheken. Aber bei der Kernmannschaft, und sei sie noch so klein, blieben sie hart.

Auch in den USA ist das Bildungsgeschäft eine hoch regulierte Branche, aber die Regulierung übernimmt nicht allein der Staat; die Colleges und Universitäten unterliegen in ebenso bedeutender Weise der Selbstregulierung, die der Staat legitimiert hat. Das wichtigste Instrument dafür ist die Akkreditierung. Bei der Akkreditierung kommerzieller Hochschulen treffen Welten aufeinander: Hier die Lordsiegelbewahrer traditioneller Vorstellungen des Hochschulbetriebs, dominiert von staatlichen Instituten; dort die Eindringlinge mit ihrem expansions- und profitorientierten Geschäftsmodell, das als Alternative präsentiert wird.

Ein „Jihad“ sei der Kampf um die Erstakkreditierung der University of Phoenix gewesen, meinte Gründer John Sperling: ein heiliger Krieg gegen die Ungläubigen, in der eine „Armee des wahren Glaubens“ gegen die „Verkörperung der Ketzerei“ angetreten sei. Die Kämpfe gegen das Hochschul-Establishment, so Sperling, seien zwar formal gesehen regulatorische Konflikte, doch ihrer Natur nach „kulturelle Stellvertreterkriege zwischen den Verteidigern einer 800-jährigen, religiös geprägten Bildungstradition auf der einen Seite und auf der anderen Innovationen, die auf den Werten des Marktes beruhen – Transparenz, Effizienz, Produktivität und Übernahme von Verantwortung“. (Zitate a.a.O., S. 758ff., Kap. "Kulturkampf um Akkreditierung")

Sperling, der Wirtschaftshistoriker und Ex-Marxist, veranschaulicht sein Weltbild in Anlehnung an den historischen Materialismus. Mönchsorden gegen Kapitalisten, Handwerkszunft gegen Industrie, reaktionäre Provinz gegen urbane Moderne – wer auf der Seite des Fortschritts steht, ist für Sperling klar. Kulturkampf also.

Kaum zu erwarten, dass ausgerechnet im viel traditionelleren Europa, wo private Initiativen und Innovationen noch weniger Erfolg haben, Lorange sein radikales Modell durchsetzen kann. Zumal rein lehrorientierte Hochschulen, die auf Forschung pfeifen, viel weniger akzeptiert sind als in den USA; und For-Profit-Bildung und die gesamte Idee von Bildung als Business auf noch mehr Kritik stoßen.

Sollte es doch noch dazu kommen, würde das für die europäischen Privathochschulen einen völlig anderen Rechtsrahmen abgeben. Für die großen Weiterbildungs-Unternehmen und Seminar-Anbieter, die heute schon 100 Prozent ihrer nichtakademischen Kurse mit externen Dozenten bestreiten, wäre das eine unwiderstehliche Einladung zum Markteintritt. Das könnte die Hochschullandschaft massiv verändern.

Man sollte es also genau beobachten.

1 Kommentar:

  1. beim Baltic College Schwerin hatten die Akkreditierer einen guten Richer, wenn zutrifft das der Vizepräsident der Hochschule für Studium, Lehre und Forschung und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Senats des Baltic College - Prof. Dr. Torsten Fischer in seinem neusten Buch: "Erlebnispädagogik: Grundlagen des Erfahrungslernens" auf rund 155 Seiten die vielen historischen Zitate inklusive der dazu gehörigen bibliographischen Angaben und Seitenzahlen wörtlich aus einer einzigen Sekundärquelle abgeschrieben hat.

    Quelle:Zeitschrift für Pädagogik, 56 (3), 437-440. (2010)

    http://www.outdoor-teamtraining.de/Maya-Kandler-Besprechung-Erlebnispaedagogik.942.0.html

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