Mittwoch, 20. Oktober 2010

"Wissenschaftsbloggen ist Lobbyismus"

Wenn Wissenschaftler bloggen, betreiben sie nicht immer Wissenschaft oder Wissenschaftsjournalismus. Manchmal ist es einseitige PR oder ist Teil der politischen Interessenvermittlung (Stichwort E-Lobbying, "Digital Public Affairs").

Der Haken dabei ist, dass das seltener erkannt wird, oder häufiger ignoriert, als bei anderen Blogs. Wissenschaftler, so die Vermutung, sind ja ganz der Wahrheit verpflichtet. Und wenn ein Blog voll ist mit hochspeziellen Fachdiskussionen, gar mit Formeln, Datenreferenzen und Laborlatein, sinkt die kritische Wahrnehmung der Leser.

Achtung, Falle, meint der Physiker und Migräneforscher Markus Dahlem in seinem Blog "Graue Substanz". Er behauptet, "Wissenschaftsbloggen ist Lobbyismus":
Lobbyismus für oder auch gegen einen Wissenschaftszweig, welcher als Bedrohung empfunden wird (z.B. Gentechnik, Kernenergie, oder Chemie (sic)). Oder für einen Wissenschaftszweig, der eine Bedrohung erforscht (z.B. Lernforschung nach dem PISA-Schock, Klimaforschung, Artensterben). Oder für einen Wissenschaftszweig, der mit gesellschaftlichen Vorurteilen zu kämpfen hat (z.B. Religion-Virus-Metapher, Migräne als Einbildung). Selbst wenn nur ein Funken überspringen soll für Wissenschaft, deren Zweck als Grundlagenforschung nicht unmittelbar erkennbar ist (z.B. Kosmologie, Stringtheorie, Chaosforschung, Paläogenetik) oder allgemein für die Wissenschaft als kulturelle Leistung an sich:

Es ist Lobbyismus, und das ist auch gut so.

Als Lobbyisten wollen Forscher künftig leichter Fördermittel bekommen, im allgemeinen wollen sie Forschungsausgaben mit einen Anteil von 3% (oder mehr) des Bruttoinlandsprodukts. Es geht aber auch darum wie der 3%-Kuchen verteilt wird. Jeder hätte gerne ein großes Stück für seine Fachrichtung.

Spezielle Programme der Projektträger des BMBF entscheiden in welche Projekte Mittel fließen. Auf europäischer Ebene gibt es Rahmenprogramme. Die Vorbereitungen für das achte Programm laufen gerade an. Kurzum, Wissenschaftler konkurrieren um begrenzte finanzielle Mittel und müssen selbst den Nachweis erbringen, dass ihre Forschung lohnt. Dies geht insbesondere auch über den Umweg des gesellschaftlichen Dialogs. Denn wer sonst sollte entscheiden, wieviel wofür ausgegeben wird?

Andere wollen gesellschaftliche Akzeptanz erreichen, die für eine Gesetzgebung notwendig ist (Beispiel Präimplantationsdiagnostik), die der Vermarktung hilft (Solarenergie) oder die schlicht Vorurteilen begegnet (Weltuntergang für günstige drei Milliarden Euro mit dem Large Hadron Collider). Und wieder andere mögen nur nach gesellschaftlichen Ansehen streben, für sich selbst oder für Ihre Fachrichtung.
Nun ist zwar nicht alles Lobbyarbeit im engeren Sinne, was interessengeleitete Kommunikation ist, aber man muss hier keine Haare spalten. In Wissenschaftskommunikation und -marketing spielt das Thema Politik eine rasch wachsende Rolle.

Dahlem bringt es knapp auf den Punkt: Geld, Regulierung, Genehmigungen, Akzeptanz im Sinne der "license to operate" -- all das sind in der Wissenschaft auch und oft besonders politisch geprägte Ziele, von politischen Entscheidern massiv beeinflusst. Daran hängt das Wohl und Wehe der Forschung. Mit anziehendem Wettbewerb bemühen sich Wissenschaftseinrichtungen um eine Systematisierung ihrer politischen Beziehungen und ihrer politischen Kommunikation. Dass Wissenschaft sich nur durch objektive Leistung auszeichnet und dafür Unterstützung erhält, dieses meritokratische Märchen kann man nicht mehr erzählen.

Wissenschaft populär und zugänglich zu machen ist ein wichtiges Ziel geworden - von Wissenschaftsjahren über "Lange Nächte" bis zu Schülerlabors und TV-Magazinen. Die politische Dimension gehört dazu, auch wenn das meist nicht im Fokus steht.

Nun also auch die wissenschaftliche Blogosphäre. Dahlem regt richtig an, dass Wissenschaftsblogger auch über Interessenkonflikte und Transparenz nachdenken müssten, selbst wenn sie sich nicht als perfide Spindoktoren sehen, die absichtlich manipulieren. Interessenvertreter sind sie aber oft doch, und das sollte man auch sehen können -- und die Advocacy trennen können vom wissenschaftlichen Argument. Dahlem meint, ein Verhaltenskodex für die bloggende Wissenschaft wäre sinnvoll.

"Die politische Meinung eines Wissenschaftlers kann nicht mehr Autorität für sich beanspruchen als die einer Krankenschwester"

Dahlem weist dankenswerterweise auch auf ein interessantes Interview mit dem Wissenschaftssoziologen Peter Weingart hin, das beim Online-Dienst von Spektrum der Wissenschaft erschienen ist. Weingart hat in seinen Publikationen regelmäßig auf die Politisierung der Wissenschaften und die verdeckten Interessenkonflikte hingewiesen, bei der Experten keineswegs nur von der Politik instrumentalisiert werden, sondern diese auch kräftig bei politischen Positionierung mitmischen; bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften war Weingart an der Ausarbeitung der "Leitlinien Politikberatung" maßgeblich beteiligt, der genau darauf eingeht und als eine Art erster Verhaltenskodex angesehen wird.

"Wissenschaftler müssen wahrhaftig kommunizieren", mahnt der. Sie müssten auch klarmachen, wo die Wissenschaft aufhört und die Politik beginnt. "Die politische Meinung eines Wissenschaftlers kann nicht mehr Autorität für sich beanspruchen als die einer Krankenschwester", sagt Weingart.
Wenn Wissenschaftler zu politischen Fragen Stellung beziehen – und das sollten sie –, müssen sie dabei deutlich machen, welche Urteile sie durch Daten absichern können und welche nicht. Sie müssen auch Auskunft geben, wie ihre Daten zu Stande kommen und so weiter. Das können sie natürlich nicht in jeder Diskussion machen, in die sie involviert sind. Aber das ist im Prinzip gefragt, gerade weil ihnen als Experten ein so großes Vertrauen entgegengebracht wird.
Wenn sich Wissenschaftler zu allgemeinpolitischen Themen äußern, mag der Zuhörer oder Leser noch einen Kontext parat haben, um die Experten-Meinung zu beurteilen. Geht es allerdings um den sehr speziellen Themenkreis der Wissenschaftspolitik, wird es kritischer - auch da hat Weingart einen wunden Punkt getroffen:
Einerseits ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, was wissenschaftspolitisch eigentlich abläuft. Im Bezug auf die Wissenschaftspolitik herrscht große Ignoranz. Auf der anderen Seite kommt wieder dieses Generalvertrauen ins Spiel, dass man sagt: Was die machen, wird schon irgendwie zum Wohl der Gesellschaft sein.
"Generalvertrauen" - kurios, dass in unserer überkritischen Gesellschaft so etwas noch existiert. Tatsächlich hat die Wissenschaft schon lange nicht mehr das Generalvertrauen, das sie in frühereren fortschrittsgläubigen Zeiten einst hatte, auch sie muss sich massive Kritik, Misstrauen und Unterstellungen gefallen lassen. Ein Rest Generalvertrauen für die wissenschaftliche Autorität aber bleibt.

Das muss per se nicht schlecht sein. Es verleitet Wissenschaftler in der Kommunikation aber möglicherweise dazu, die eigenen Interessen (und Interessenkonflikte) nicht kenntlich zu machen. Die Diskussion um Verhaltenskodizes und Transparenz ist daher wichtig. Nicht nur beim Bloggen, sondern insgesamt.

Wo es politisch wird, sollte eigentlich die traditionelle Regel der Wissenschaftlichkeit besonders beachtet werden: Alles muss nachvollziehbar und belegbar sein.

2 Kommentare:

  1. Die wissenschaftliche Arbeit auf Basis vor allem privater Gelder ist und bleibt eine Gratwanderung. Aber sie ist - nicht nur angesichts leerer Kassen - unerlässlich. Vertrauen gegenüber "den Wissenschaftlern" ist nicht nur angebracht, sondern zu 99% auch gerechtfertigt.

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  2. Hallo Herr Althaus!

    Es freut mich, dass Sie diese Diskussion aufgreifen. Hier noch ein Hinweis über eine ähnliche Diskussion in einer internationalen Zeitschrift und einem Nachbarblog:

    In einem Editoral "Science Blogs and Caveat Emptor" der Zeitschrift Analytical Chemistry schrieb Royce Murray zu diesem Thema am 12. Okt:

    "Who are the fact-checkers now? There are no reviewers in a formal sense, and writing can be done for any purpose—political, religious, business, etc.—without the constraint of truth."

    Daraufhin antwortet David Kroll am 17. Okt. in dem PLoS Blog: "Royce Murray and the problem of science bloggers."

    Herzliche Grüße,
    Markus Dahlem

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