Donnerstag, 2. Dezember 2010

Think-Tanks, Do-Tanks: Politisches Unternehmertum von Denkfabriken

Denkfabriken sind keine passiven Ratgeber mehr, wollen nicht nur Vordenker sein, sondern politische Macher: "Think-Tanks" werden „Do-Tanks“. Das ist die These Daniel Florians in einem Beitrag für das Magazin politik & kommunikation (Volltext).

Florian, Berater in einer PA-Agentur und Herausgeber der Website "ThinkTank Directory" (TTD), einer Art "Gelbe Seiten" für Denkfabriken, widmet sich unter anderem dem Unterschied zwischen den öffentlich finanzierten Stiftungen alten Typs und "advokatischen" TTs, die Interessengruppen zuzuordnen sind und als "politische Unternehmer" auftreten.

Natürlich tauchen die Gesamtmetall-finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und die Bertelsmann-Stiftung auf. Florian betont die öffentliche Kritik, die diese kontinuierlich trifft – insbesondere den Vorwurf, „verstecktes Lobbying“ zu betreiben und eine enge personelle Verquickung zwischen Denkfabrik und Unternehmen zuzulassen.

So wird das Buch „Bertelsmann Republik Deutschland – Eine Stiftung macht Politik“ des Journalisten Thomas Schuler aufgegriffen. Florian findet es bemerkenswert, dass die Bertelsmann-Stiftung die Kritik diesmal nicht an sich hat abperlen lassen.

In der Tat, die Stiftung wehrt sich aktiv gegen Vorwürfe der Interessenvermischung und der politischen Einflussnahme. Stiftungsvorsitzender Gunter Thielen äußert sich zu Schulers Buch - lesenswert: ein Handelsblatt-Interview mit dem Titel "Wir sind keine heimliche Regierung". Auszüge:
Handelsblatt: Kommen wir zu einem anderen Buch, das eine heftige Diskussion über die Bertelsmann Stiftung angestoßen hat. Haben Sie sich über Thomas Schulers Buch "Bertelsmann Republik Deutschland" sehr geärgert oder gar empört? Hat dieses Buch einen Nerv getroffen angesichts der massiven Kritik der vergangenen Jahre?

Thielen: Der Vergleich hinkt. Das Buch von Thilo Sarrazin [das die Bertelsmann-Tochter Random House verlegt hat, während sich die Bertelsmann-Stiftung von den Inhalten distanzierte, Red.] interessiert Millionen, das Buch von Thomas Schuler nur eine überschaubare Fachöffentlichkeit im Stiftungsbereich. Thomas Schuler beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Familie Mohn und Bertelsmann. Er unterstellt der Familie eine zu große wirtschaftliche und politische Macht, er glaubt sogar, die Stiftung sei in erster Linie ein Steuersparmodell.

Handelsblatt: Trifft die Kritik zu?

Thielen: Nein, das ist doch absurd! Reinhard Mohn hat drei Viertel seines Vermögens an die Gesellschaft in Form der gemeinnützigen Bertelsmann Stiftung verschenkt. Er hat immer nach der Maxime gelebt: Eigentum verpflichtet. Wenn Sie Ihr Vermögen verschenken, zahlen Sie darauf natürlich keine Steuern mehr. Aber es ist auch nicht mehr in Ihrem Besitz.

Handelsblatt:Hat das Buch den Blick auf die Bertelsmann Stiftung verändert?

Thielen: Das glaube ich nicht. Die Rückmeldungen aus Politik und Gesellschaft sowie von unseren Projektpartnern zeigen, dass unserer Arbeit weiterhin großes Vertrauen und Interesse entgegen gebracht wird. (...)

Handelsblatt:Was lernt die Stiftung aus dem Buch?

Thielen: Wir nehmen das Buch als Anregung, die Arbeit der Stiftung noch transparenter zu gestalten. Alles kann man verbessern - auch die Bertelsmann Stiftung. Allerdings beschäftigt sich das Buch mit alten Projekten und Inhalten, ich hätte mir gewünscht, Herr Schuler hätte sich mehr mit der Gegenwart der Stiftung als mit der Vergangenheit auseinandergesetzt.

Handelsblatt:Einer der Vorwürfe lautet, dass die Bertelsmann Stiftung über großen politischen Einfluss verfüge, die den Konzerninteressen nutzt. Wir reagieren Sie auf diese Kritik?

Thielen: Wir sind keine heimliche Regierung. Das ist zu viel der Ehre. Politische Meinungsbildung ist doch kein Top-down-Prozess. Uns hat der Stifter Reinhard Mohn die Aufgabe gegeben, auf Defizite in Staat und Gesellschaft hinzuweisen und Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. Dem Willen des Stifters fühlen wir uns auch weiterhin verpflichtet. (...)

Handelsblatt: Die Bertelsmann Stiftung verfügt wie keine andere Stiftung in Deutschland über ein Netz in den Machtzentralen der Politik. Kein Bundeskanzler, kaum ein Minister, der nicht auf Veranstaltungen der Stiftung auftritt. Ist die Stiftung für den Konzern auch ein Türöffner, um die Geschäfte voranzutreiben?

Thielen:Die Bertelsmann Stiftung hat noch nie als Türöffner für die Geschäfte der Bertelsmann AG gedient. Wir sind - wie ja auch die gesamte Gesellschaft - sehr viel sensibler geworden. Wir halten die Sphären von Konzern und Stiftung strikt auseinander. In der Stiftung bewegen uns gesellschaftliche Fragestellungen und keine Managemententscheidungen. Die Projekte der Stiftung sollen den Menschen nutzen, nicht den Profitinteressen von Unternehmen.

Handelsblatt: Aber gibt es nicht Überschneidungen? Der Konzern hat das Geschäftsfeld Bildung - bereits unter Ihrer Führung als Vorstandschef - entdeckt, gleichzeitig engagiert sich in diesem Bereich die Stiftung. Wie kann das genau getrennt werden?

Thielen:Es gibt Megathemen in der Gesellschaft, mit denen sich unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Zielsetzungen beschäftigen. Ich sehe hier kein Problem. Die Bertelsmann Stiftung will helfen, das Bildungssystem in Deutschland zu verbessern. Unsere Lösungsvorschläge stellen wir zeitgleich jedermann kostenlos zur Verfügung. Wir sind absolut transparent, inzwischen diskutieren wir sogar die Entwicklung in unseren Bildungsprojekten in sozialen Netzwerken, die jedermann zugänglich sind.

Handelsblatt: Es gibt noch eine weitere inhaltliche Kongruenz zwischen Stiftung und Konzern, nämlich das Thema Outsourcing von staatlichen Aufgaben. Dafür macht sich die Stiftung stark, und der Konzern profitiert davon. Geraten Sie hier nicht ins Zwielicht?

Thielen: Dieses Missverständnis hält sich hartnäckig. Fakt ist, dass die Bertelsmann Stiftung nicht für das Outsourcing öffentlicher Dienstleistungen plädiert. Unser Konzept ist die interkommunale Zusammenarbeit zum Wohl des Bürgers. Wir treten für das Zusammenlegen zu größeren Einheiten im kommunalen Bereich ein, um billiger und effektiver zu arbeiten.

Handelsblatt:Verdi und die Lehrergewerkschaft GEW zählen zu ihren schärfsten Kritikern. Teile der Gewerkschaften lehnen die Bertelsmann Stiftung bereits ab. Stört sie das?

Thielen: Es gibt kein generelles Problem mit den Gewerkschaften. Das wird sich wieder einrenken. Wir sind nicht beunruhigt, weil wir nach wie vor in zahlreichen Projekten mit Gewerkschaften zusammenarbeiten. Für weiteren Austausch und Kooperationen ist die Bertelsmann Stiftung immer offen. (...)

Handelsblatt: Die Familie Mohn ist im Aufsichtsrat des Konzerns präsent, in der Führungsspitze der Stiftung und im eigentlichen Machtzentrum der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft, kurz BVG und einer BVG-Stiftung seit zwei Jahren. Sind eine derartige Ämterhäufung und eine Doppelstiftung eine saubere Lösung?

Thielen: Diese Ebenen muss man trennen. Die Familie Mohn nimmt ihre Interessen in den Gremien von Bertelsmann wahr. Das ist ihr gutes Recht. (...)

Handelsblatt: Sie sind Vorstandschef der Bertelsmann Stiftung und Aufsichtsratschef der Bertelsmann AG. Ist das eine saubere Lösung im Sinne von Corporate Governance?

Thielen: Ich trenne strikt zwischen meinen Aufgaben. Mohn hatte immer gesagt, die Stiftung muss von einem Unternehmer geführt werden. In der Regel war es der ehemalige Vorstandschef. So ist es auch bei mir. Das muss aber nicht für alle Zukunft so bleiben. Es sollte kein Dogma sein.

Handelsblatt: Die Familie Mohn ist mit Liz Mohn und ihren beiden Kindern Brigitte und Christoph in der Stiftung, im Konzern-Aufsichtsrat und in der BVG vertreten. Gibt es hier nicht Interessenskonflikte?

Thielen: Liz Mohn und ihre Kinder engagieren sich in allen Gremien bei Bertelsmann. Zum Wohle des Unternehmens und seiner Mitarbeiter. Daran wird sich nichts ändern. (...) Die Familie wird auch zukünftig ihre berechtigten Interessen in der BVG und im Aufsichtsrat vertreten. Auch in der Stiftung wird die Familie immer eine wichtige Rolle spielen. Das ist vom Stifter Reinhard Mohn so gewollt und übrigens auch von den Aufsichtsbehörden der Stiftung genehmigt und im Einklang mit dem geltendem Recht.
Ein so ausführliches Interview mit zahlreichen Hinweisen auf die bisherige öffentliche Kritik fällt normalerweise nicht vom Himmel und ist wohl auch nicht nur die Idee des Interviewers gewesen. Die Stiftung hatte offenbar ein Mitteilungs- und Korrekturbedürfnis.

Das bestätigt Florians Gedanken, dass, wer sich politisch aktiv einmischt und Ideen nicht nur haben, sondern umsetzen will, auch seinen Einfluss gegen Kritiker viel öffentlicher verteidigen muss. Think-Tanks, die laut Florian "zu einem festen Bestandteil der politischen Klasse" werden, politisieren sich auch in dieser Hinsicht.

"Für Politik und Öffentlichkeit führt das zu einer neuen Herausforderung – sie müssen kontrollieren können, dass Think-Tanks tatsächlich die Interessen der Allgemeinheit vertreten und keine Partikularinteressen"
, folgert Florian.

Transparenzpflichten und öffentliche Kontrolle für private Denkfabriken? Die Botschaft ist, wie das Interview mit Thielen zeigt, in Gütersloh offenbar angekommen, vielleicht schon angenommen worden.

Problematisch ist das allerdings trotzdem. Vor allem, wenn es um den Nachweis der Gemeinwohlorientierung geht.

Hier wäre klar zu unterscheiden: Think Tanks leisten einen Beitrag zur pluralistischen Meinungsvielfalt und Debatte; dass diese zustande kommt, liegt im allgemeinen Interesse. Das ist sozusagen die Meta-Ebene. Andererseits scheinen viele Kritiker zu meinen, dass das Denken der Denkfabriken, ihre Vorstöße und Vorschläge, auch inhaltlich keine bestimmte Linie vertreten dürfen. Motto: Gemeinnützigkeit ist nicht nur eine steuerrechtliche Kategorie, sondern auch Verpflichtung zur Äquidistanz in alle Richtungen. Das wäre aber Unfug – der Sinn liegt ja gerade darin, Position zu beziehen. Think Tanks dürfen ideologisch sein.

Das Problem mit der Bertelsmann-Stiftung lag und liegt daran, dass sie so viele Ressourcen hat, mit Projekten fast überall zu sein scheint, und geradezu ein "Beratungsmonopol" als "politischer Beratungskonzern" aufzubauen schien, zu dem ja auch einige Stiftungen außerhalb der eigentlichen Bertelsmann-Stiftung gehören, außerdem politische Think-Tanks wie das CAP (an der LMU München, Professor Werner Weidenfeld) und CHE (gemeinsam getragen mit der Hochschulrektorenkonferenz, mit einer operativen Parallelgesellschaft, CHE-Consult).

Schließlich steht da noch die Tatsache, dass Bertelsmann nicht irgendein Industrieunternehmen ist, sondern ein Medienkonzern – da ist der Vorwurf nicht weit, dass über die hauseigene Presse Meinungsmache betrieben wird. Politik nicht nur vordenken, sondern den Druck auf die Politik gezielt erhöhen, um die Denkanstöße Realität werden zu lassen: Diese Argumentationskette über die Bertelsmann'sche politische Supply Chain entbehrt nicht einer gewissen Plausibilität. Für die (vorwiegend linken) Kritiker ergibt sich daraus allerdings schnell eine Verschwörungstheorie. Der sollte man nun auch nicht auf den Leim gehen.

Nebenbei bemerkt ist die Bertelsmann-Stiftung keineswegs stramm neoliberal im ideologischen Sinne geeicht, sondern ziemlich fest im deutschen Mainstream verankert. Gerade das macht sie ja so akzeptabel für Politiker von Links bis Rechts.
  • Wahr ist, dass die Bertelsmann-Stiftung eine ziemlich einzigartige Stellung in der Politikberatungsszene aufgebaut hat.
  • Wahr ist aber auch, dass das der Politik durchaus aufgefallen ist. Eine Reaktion darauf ist, sich nach Alternativen umzusehen oder zur Gründung zu ermuntern. Insofern wächst die Konkurrenz, die es in den 1990er Jahren so noch nicht gab.
Daniel Florian bemerkt in seinem Artikel, "in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Think-Tanks – insbesondere der privat finanzierten – in Deutschland drastisch gestiegen. Mehr als 30 Denkfabriken sind seit dem Jahr 2000 gegründet worden. Der „Markt der Ideen“ ist heute pluralistischer als jemals zuvor – und spiegelt damit auch die Erosion der Volksparteien und die Individualisierung von Politik wieder."

So kommen Neugründungen zum Zuge, die sich durchaus nicht als neutral verstehen, sondern als politische Plattformen mit Unterstützernetzwerken –Beispiele: "Institut Solidarische Moderne" von der Linken oder "Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt" auf der liberalkonservativen Seite. Und auch Unternehmen und Verbände versuchen häufig, mit eigenen Instituten sowie Vermittlungshelfern (etwa PA-Agenturen) als Politikberater aufzutreten – interessengeleitet zwar, aber doch mit der Politik als Beratungskunden im Blick. Lobbyarbeit ist eben immer auch Politikberatung, und Politikberatung wird immer weniger als ausschließlich öffentlich-rechtlich/wissenschaftlich-institutionalisiert verstanden.

Dass da genauer hingeschaut wird, wer da denn wen wie berät, liegt auf der Hand. Das ist unbequem. Und muss auch so sein.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für die ausführliche Besprechung meines Beitrags! Vielleicht muss ich noch einmal deutlich machen, dass ich nichts gegegn parteiische Think Tanks habe - eine eigene Position gehört nun einmal dazu ...

    Allerdings sollten sich Think Tanks - auch in eigenem Interesse, um als Berater akzeptiert zu werden - um eine echte wissenschaftliche Basis bemühen, und das meine ich mit Gemeinwohl.

    Dazu gehört zum Beispiel Transparenz was Spender und Einnahmen angeht. In den USA gibt es leider ein paar Beispiele, wo Unternehmen Think Tanks als scheinbare neutrale Lobbyorganisationen missbrauchen. Das sollte nicht steuerlich gefördert werden!

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