Dienstag, 31. August 2010

"Micky-Maus-Uni für praktizierende Ideologen"

"Lobbyisten haben nicht den besten Ruf, aber gute Berufsaussichten", meint der Berliner Tagesspiegel und berichtet über neue berufsbegleitende Studiengänge -- darunter die Master der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW, halbprivat), der Quadriga Hochschule Berlin (privat, erwähnt wird auch die jüngste Kontroverse um die Hochschule), der Hochschule für Technik und Wirtschaft (staatlich) und des Wildau Institute of Technology an der Technischen Hochschule Wildau (staatlich).

Was er denn davon halte, fragt die Zeitung Klaus Kocks. Launig wie immer gibt der Ex-VW-Kommunikationschef und rührige Berater, selbst Honorarprofessor für Unternehmenskommunikation an der staatlichen FH Osnabrück, auf Tagesspiegel-Anfrage.

Von den Lobby-Studiengängen halte er wenig, sagt Kocks. Nicht aus ethischen Überlegungen, sondern fachlich, erfährt man da: Lobbying sei eine Form der PR und damit der Publizistik, die sich lediglich durch die Zielgruppe von anderen Kommunikationsformen unterscheide.

Für Publizisten gebe es aber bereits „ordentliche akademische Studiengänge an Universitäten und Fachhochschulen“. Von „Pseudohochschulen mit sogenanntem Praktikerwissen“ lässt er sich nicht beeindrucken: „Ich weiß nicht, warum jemand, der vernünftig studieren könnte, auf so eine Micky-Maus-Uni für praktizierende Ideologen gehen sollte.“

Autsch. Ein echter Kocks.

Wahr ist, dass es - noch - für Lobbyarbeit und das Feld Public Affairs keinen allgemein akzeptierten Curricularkanon gibt, der eine jahrzehntelange Tradition wie die Publizistik- und Kommunikationswissenschaften hat, die ja aus der guten alten "Zeitungswissenschaft" entstanden ist. Skeptisch beäugt wurde auch diese in den Anfangszeiten.

Ob Public Affairs Management vorrangig oder ausschließlich eine Kommunikationsdisziplin ist und der PR mit ihren akademischen Aus- und Weiterbildungsangeboten überlassen werden sollte, darüber lässt sich trefflich streiten (Tipp: Aufsatz "PA und PR - ungleiche Schwestern").

Ja, PA gehört ganz sicher auch zur PR, und vielfach sind es PR-Praktiker, die die Tagesverantwortung für PA übernehmen. Aber:
  1. sind die meisten PR-Praktiker keine studierten Kommunikationswissenschaftler, sondern haben sich die PR-Praxis erst nach einem anderen Fachstudium erschlossen.
  2. wachsen viele PA-Leute erst über völlig andere Aufgaben in das Berufsfeld hinein: Juristen, Kaufleute, Ingenieure, die niemals eine PR-Ausbildung durchlaufen haben und sich auch nicht als PR-Praktiker verstehen, wohl aber einen Schwerpunkt etwa im Verbandsmanagement, Regulierungsangelegenheiten, politiknahen Industriegeschäft oder anderen Feldern haben, die erst einmal nicht durch PR definiert sind.
  3. PA wird wissenschaftlich keineswegs nur von den Kommunikationsfächern erforscht und im Sinne der Professionalisierung praxisnah weiterentwickelt, sondern vorrangig von Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern, daneben auch von Rechtswissenschaftlern.
  4. Berufsbegleitende Master-Studiengänge sind sinnvollerweise interdisziplinär angelegt. Das ist auch in den meisten PR-Studiengängen so, mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten.
  5. Dass es bereits "ordentliche Studiengänge" an Universitäten und Fachhochschulen gibt, die man sich als PA-Interessierter zur Basis einer Ausbildung oder als PA-Praktiker zur Weiterqualifizierung auswählen kann, auch damit hat Kocks Recht. Aber auch diese haben sich im Zuge des Bologna-Prozesses vervielfacht und ausdifferenziert.
  6. Glücklicherweise gab es den Mut zum Experiment, und auch private Hochschulen haben dazu beigetragen -- immerhin gehören medienpraxisorientierte Studiengänge zu den beliebtesten und erfolgreichsten privater Anbieter. Es ist ein bisschen einfach, solche als Micky-Maus-Uni durch den Kakao zu ziehen.
  7. Kocks legt viel Wert auf das "ordentliche" und "vernünftige" Studieren. Für Berufstätige, die bereits ein Erststudium hinter sich haben, sieht das eben etwas anders aus als für den Durchschnitts-Abiturienten. Gerade Berufstätige wünschen sich nicht nur abendländische Philosophie, Theorie und Vorlesungen, sondern den Austausch mit Praktikern und alternative Lehr-Lern-Formate. Auch im kleinen Rahmen lässt sich damit ein anspruchsvolles Programm akademischer Erwachsenenbildung aufbauen. Ob es seriös und gut und passend für die Zielgruppe umgesetzt wird, ist nicht per se eine Frage von privat oder staatlich, neu oder etabliert, klein oder groß.
Kollege Kocks (*1952) selbst ist ein Paradebeispiel für die Veränderungen in der akademischen Aus- und Weiterbildungslandschaft: als er Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Philosophie und Germanistik auf Lehramt studierte, gab es das heutige PR-Ausbildungsangebot noch gar nicht, und vermutlich noch keine Professuren für Unternehmenskommunikation (nicht einmal für Marketing, bestenfalls Absatzwirtschaft). Wie Kocks selbst haben viele Praktiker geholfen, kommunikationspraxisnahe Studiengänge einzurichten, an altehrwürdigen Orten wie auch bei Neugründungen, in grundständigen und in weiterbildenden Curricula. Alle mussten erst einmal ihre Probeläufe hinter sich bringen und sich Respekt erarbeiten, bei den Praktikern wie bei den Wissenschaftlern.

2 Kommentare:

  1. Ein differenzierter Beitrag, der der Kock'schen Polemik wohltuend sachlich entgegentritt. Berufstätige Studierende erwarten von einer berufsbegleitenden wissenschaftlichen Weiterbildung heute mehr, als im Regelbetrieb universitärer Großveranstaltungen geboten werden kann.

    Udo Thelen

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  2. Danke für Ihren Kommentar.

    Hinweis für PAM-Leser:

    Dr. Thelen ist Kanzler der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW), die im Beitrag erwähnt wird.
    Kocks' Zitat bezieht sich nicht explizit auf die DUW.

    MA

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